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Rezensionen > Barker, Nicola: Nadeln im Ohr

Copyright: Suhrkamp Verlag, Frankfurt/MainDie Leiden der jungen Medve
Nicola Barkers neuer Roman
"Nadeln im Ohr"

Nicola Barker: Nadeln im Ohr. Roman.
Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich.
Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2002.
ISBN 3-518-41318-X
242 Seiten, EURO 18,90

Nicola Barker sagt man eine gewisse �hnlichkeit mit ihrer neuesten Hauptfigur nach: Scheu vor Menschen zeichnet sie beide aus. Sie selbst bezeichnet sich als Perfektionistin. Ber�hmt wurde sie mit unverfrorenen und kauzigen Geschichten. "Nadeln im Ohr" passt sich in diese Reihe nahtlos ein.

Mit 16 lebt das Mädchen Medve mit ihrem kleinw�chisgen Vater, der geliebt-verachteten j�ngeren Schwester und dem kleinen, altklugen und todessehns�chtigen vierj�hrigem Bruder in einer Bruchbude von ehemaligem Hotel auf einer Insel. Abhanden gekommen sind eine erfinderische und schrullige, auf dem Selbstfindungstrip befindliche Mutter, der k�nstlerische, von Medve tief bewunderte Bruder und die verhasste h�bsche Schwester mit dem bezeichnenden Namen Poodle. Wie diese seltsame Teilfamilie ihren Lebensunterhalt bestreitet, bleibt halb im Dunkeln. Durch Bekanntschaften der Mutter landet der halbw�chsige LeRoux bei der Truppe im Hotel. Er ist unangepasst, sowohl was seine Kleidung als auch die K�rperpflege betrifft. Im Kreise von Pubertierenden ist das die ideale Voraussetzung, um bewundert und begehrt zu werden. Die Selbstzweifel und Verzweiflungen der 16-j�hrigen Medve toben sich aus. Zwischen unm��iger Sehnsucht, Leidenschaft und angewidertem Abwenden reagiert ihr pubertierendes Sein auf die jung-männliche Herausforderung. Anlocken durch Wegsto�en - das hat noch nie funktioniert. Und ihr Wesen ist ihr auch noch im Weg: unruhig, aggressiv und ständig wie wild gestikulierend.

Nach einem missgl�cktem Angelausflug - welch bezeichnendes Bild! -, der sein fulminantes Ende in einer stattlichen Rauferei im Boot findet, wird Medve von allen anderen empfindlich hereingelegt und sinnt auf Rache. Ihre doppelspielige Schwester hilft bei der Durchf�hrung der Pl�ne und verfolgt gleichzeitig eigene Ziele. Zum Schluss ist Medve v�llig blamiert, allein, verlassen, ohne Mutter und ungeliebt von sich selbst und der Welt. Pl�tzlich taucht auch die sch�nheitsoperierte Poodle wieder auf, aber nur, um wie LeRoux die Insel �berhastet wieder zu verlassen. Medve ist nach dessen Verschwinden v�llig mit sich allein. Trotzdem: erfolgreich durchsteht sie den Rest ihrer Pubert�t.

Jahre sp�ter verliert sie die verhasste Schwester und erkennt, dass der Hass nicht gegen sie, sondern gegen sich selbst gerichtet war. Vergebung macht sich in ihr breit. Der Amerikaner w�rde sagen "the plot thickens", denn sie erf�hrt auch, wie die �berhastete Flucht LeRoux' zustande kam. Um mit sich ins Reine zu kommen, trifft sie ihn Jahre nach der ersten Begegnung wieder. Er betreibt eine Praxis f�r Akkupunktur und hat sich Teile seiner seltsamen Pers�nlichkeit bewahrt. Die beiden tauschen ihre Lebenswege aus und verabschieden sich. Verabschieden sich nicht wirklich, denn er geht ihr nach und sie l�sst ihn fahren - den Zug. Der Anfang einer neuen Leidenschaft?

Die Liebe der Autorin zu leeren, tristen Landschaften findet sich in der h�nenartigen, gro�f��igen Medve wieder. Die 16-J�hrige versteckt ihre innere Leere hinter unerbittlichem Humor und verbalem Sadismus gegen sich selbst, ihre Umwelt und den Leser. Eine Beziehung zum Leser will scheinbar aufgebaut werden, davon zeugen die permanenten rhetorischen Fragen, die unverhohlene Ansprache. Wer will da Aufmerksamkeit erheischen? Medve? Die Autorin? Doch N�he will nicht recht aufkommen, daf�r sorgen schon die nicht enden wollenden S�tze, die sich immer wieder um Dinge drehen, die dem Leser noch nicht bekannt sind, gar nicht bekannt sein können. Auch er bleibt allein, mit Andeutungen, Mutma�ungen, Ratlosigkeiten.

Nicola Barkers Roman "Nadeln im Ohr" ist kein Buch, das in kleinen H�ppchen gelesen werden will. Dafür fordert es permanente Aufmerksamkeit, innere Teilhabe und - Verständnis für ein Alter, das sich kaum verstehen lässt und das sich selbst oft genug des Verstehens verweigert. Wer den rasant-eigenwilligen Stil und das Tempo des Romans miterleben will, der nehme sich Zeit, viel Zeit.

Beate Jung

© TourLiteratur / Autorin
Alle Rechte vorbehalten
Buchcover: © Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main

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