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Rezensionen > Bujor, Flavia: Das Orakel von Oonagh

Copyright: List Verlag, MünchenM�dchenpower im Fantasy-Land
Flavia Bujors beeindruckender Deb�troman "Das Orakel von Oonagh"

Flavia Bujor: Das Orakel von Oonagh
Aus dem Französischen von Roseli und Saskia Bontjes van Beek
München: List Verlag 2003
ISBN 3-471-77-260-X
316 Seiten. EURO 18,00

Dieser Erstling ist ein erstaunliches Buch. Warum? Weil die Autorin erst vierzehn Jahre alt ist? Auch deshalb. Aber mehr noch: Weil er etwas vermittelt, was der Literatur schon immer gut getan hat: die pure, unb�ndige Lust am Erz�hlen, die - im besten Sinne - naive Hingabe an einen spannenden Stoff. Flavia Bujor, dem Teenager aus Frankreich, ist dieses literarische Kunstst�ck gelungen.

Worum geht es? An ihrem vierzehnten Geburtstag ger�t die Welt von drei M�dchen v�llig aus den Fugen. Urpl�tzlich m�ssen sie den beh�teten Schutzraum ihrer Familien verlassen, um an einem geheimnisvollen Ort die Wahrheit �ber sich, ihre Bestimmung zu erfahren. Eine uralte Prophezeiung, hei�t es, will es so. Alle drei erhalten jeweils einen Zauberstein, der ihnen den Weg zur L�sung des R�tsels weisen soll. Die M�dchen, die sich niemals zuvor gesehen haben, begegnen sich. Gegnerinnen seien sie, hat man ihnen erz�hlt, und so herrscht erst einmal Misstrauen zwischen den ungew�hnlich erwachsen wirkenden Halbw�chsigen. Aber Schicksalsgemeinschaften haben meist eines gemeinsam: sie schwei�en zusammen.

Einfach ist das in diesem Fall freilich nicht, denn die jungen Damen k�nnten unterschiedlicher nicht sein. Da ist Jade, die als Herzogstochter aufgewachsen ist, streitlustig, stolz und eingebildet, aber auch geradlinig und tatkr�ftig, wie sich zeigen wird - eine Schicksals-Managerin im Jungm�dchen-Format, die Powerfrau en miniature. Ganz anders das arme Bauernkind Ambre, ein vertr�umtes Sonnenkind, ein zarter Charakter mit ausgleichendem Wesen, immer hilfsbereit und verst�ndnisvoll, nur z�gernd damit besch�ftigt, das eigene Selbstbewusstsein zu entdecken. Schlie�lich die k�nstlerisch veranlagte Opale, ein in steter Selbstbetrachtung versunkener Innenmensch, meist schweigsam, die Welt mit gesenktem Blick erkundend, scheinbar keiner Zuneigung oder gar Liebe f�hig.

Doch das Trio rauft sich zusammen, schlie�lich gilt es, atemberaubende Abenteuer zu bestehen. Das ist im M�rchen eben so und hier ist es nicht anders. Gef�hrlichster Gegner ist der Rat der Zw�lf, der sein grausames Regime �ber weite Teile der Erde ausgedehnt hat und dessen einziges Ziel es ist, jegliche Phantasie auszurotten. Denn nur sie ist berufen, die Macht des B�sen zu brechen. Genau diese anspruchsvolle Aufgabe machen sich die M�dchen zu eigen. Dazu m�ssen sie Oonagh aufsuchen, ein mystisches Wesen von gro�er Weisheit und mit der F�higkeit gesegnet, in den Herzen der Menschen zu lesen. Oonagh lebt in einer Kristallgrotte in der M�r, einem freien und bl�henden Land, das sich dem Zugriff des diabolischen Rats bisher entziehen konnte. Zugang zur M�r erh�lt nur derjenige, der ohne Wenn und Aber an das Unm�gliche, an die Macht der Tr�ume und der Imagination glaubt.

Keine leichte Aufgabe f�r die drei Heldinnen, denn auch das gelobte Land erweist sich als br�chiges Idyll: Da treiben Bumblinks und Ghibduls in den W�ldern ihr schalkhaftes Unwesen, versuchen bezaubernd sch�ne, aber abgrundtief boshafte Nalyssen Zwietracht unter das mutige Dreigestirn zu s�en, m�ssen verhexte St�dte und D�rfer durchwandert und �bergriffe der Armee der Finsternis abgewehrt werden. Am Ende - wie sollte es anders sein - geht alles gut, Verstrickungen l�sen, Paare finden sich. Und �ber allem thront die Erkenntnis: Der unbeirrte Glaube an die eigene Pers�nlichkeit versetzt Berge. Und: Wirklichkeiten sind nicht unab�nderlich, Schicksale m�ssen nicht klaglos hingenommen, Leiden nicht stumm ertragen werden.

Der zugleich idealistische wie praktische Mehrwert dieser hoffnungsfrohen Botschaft offenbart sich in den kleinen Realit�ts-Sequenzen, die Flavia Bujor immer wieder in die schillernd-schaurige M�rchenwelt einflie�en l�sst. Die Geschichte um Jade, Ambre und Opale entpuppt sich als Traum eines vierzehnj�hrigen M�dchens, das in einem Pariser Krankenhaus der Jetztzeit auf den Tod wartet. Und darauf hofft, dass der Traum und damit die Zuversicht nie zu Ende gehen werde.

Vieles klingt vertraut in diesem Buch, erinnert an unendliche Geschichten oder Herren von Ringen. Aber Flavia Bujor gelingt es, ihre ganz eigenen Inhalte zu vermitteln, ihren eigenen Ton zu treffen, ja, mit klischeehaften Versatzst�cken des Genres zu jonglieren. Sicher: Manche Dialoge sind etwas holprig, einige Passagen zu langatmig geraten. Dem Lesevergn�gen bereitet das jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Flavia Bujors Fabulierfreude wirkt ansteckend. Frisch und unbek�mmert erz�hlt sie drauflos, ein Abenteuer reiht sich ans andere, langweilig wird es nie und das Gef�hl kommt auch nicht zu kurz. Was erwartet man mehr von einem gelungenen Fantasy-Roman?

"Jeder tr�gt seine Magie in sich", hei�t es an einer Stelle im Roman. Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene sind auf charmante Weise dazu aufgerufen, sie zu entdecken.

Holger Dauer

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten
Buchcover: © List Verlag, München

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