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Rezensionen > Franzobel: Lusthaus oder Die Schule der Gemeinheit

Zwischen groteskem Alltag und postmoderner Chim�re
Franzobels "Lusthaus"

Franzobel: Lusthaus oder Die Schule der Gemeinheit. Roman.
Wien: Zsolnay Verlag 2002.
ISBN 3-552-05180-5
176 Seiten.
EURO 17,90

Schrill �berzeichnete Figuren, die in bizarren Beziehungen zueinander stehen, Versatzst�cke avantgardistischer Kritik an der westlichen postindustriellen Freizeitgesellschaft, eine Vielzahl unzusammenh�ngender Realit�tseffekte, zynische Momentaufnahmen faschistoiden und sexistischen Verhaltens - all dies verkn�pft der seit zw�lf Jahren erfolgreiche �sterreichische Schriftsteller Franz Stefan Griebl alias Franzobel in seinem neuesten Roman. Mit "Lusthaus" pr�sentiert er ein bisweilen zeitkritisches, bisweilen aber auch hyperkonstruiertes Panoptikum grotesker Figuren und Situationen.

Pasqualina, die dicke Mutter Oskars und Tochter eines nach Argentinien emigrierten Nazis, regt sich �ber ihren abgestumpften Nachbarn "Klappbauch" auf, ein "krankes, verw�stetes Gesicht mit einem Nackenlappen zugedeckt: Blo� Augen schimmerten da hervor. Augen, in denen nichts funkelte. Mit so einem, an einen alten Putzfetzen erinnernden heraush�ngenden Klappbauchnacken war kein Ortsschildwettbewerb zu gewinnen." (S. 128) Klappbauch, der selber nichts anderes mehr als Fu�ball und den inhaltslosen Marktrummel dazu wahrnimmt, traut Pasqualina, dem "Fettfleck gegen�ber" (S. 12), gar einen Mordanschlag zu. Beide ahnen nichts von der schicksalshaften Kreuzung ihrer Lebenswege aus braunen Zeiten. Pasqualinas Freundin, die geizige Gloria, zieht t�glich vor den Bankschalter, an dem sie sich ihren Kontostand mitteilen l�sst, freilich ohne etwas abgehoben zu haben, die Bilanz ihres Lebenssinnes. Ihr Geiz treibt sie in unappetitliche Notst�nde.

Eine weitere Freundin Pasqualinas, Conchita, wurde von dem l�sternen Kleinkriminellen Manker nach �sterreich geholt, um kurze Zeit sp�ter den Platz f�r die f�llige Mariella r�umen zu m�ssen. Aus Angst um ihre Aufenthaltsgenehmigung heiratet sie Seth, einen als Asylanten anerkannten Chilenen. Manker interessiert sich nur f�r nazistische Literatur und freiz�gige sexuelle Abenteuer, sondern auch f�r die Ausbildung des gutm�tigen Journalisten Zsmirgel zu einem Meister der Gemeinheit. Insbesondere dessen F�higkeit, Nachrufe zu verfassen, die den Bedachten tats�chlich sterben lassen, hofft Manker ausschlachten zu k�nnen. Franzobel gelingen stellenweise gro�artige satirische W�rfe, in denen er den staatstragenden Kleinb�rgerfaschismus, die Sport- und Freizeithysterie und nicht zuletzt kleine und gro�e Geh�ssigkeiten, die zugleich abscheulichste und lustvollste menschliche Schw�che, karikiert.

Beispielsweise l�sst Franzobel Manker den Tourismus als zerst�rerische und verbl�dende Massenreligion reflektieren: "R�misch-katholisch? Evangelisch? Das sind Ausreden. Heutzutage m�sste in den Formularen stehen: Mallorca oder Jesolo? Auto, Flugzeug oder Bahn? Club, Hotel oder Pension?" (S. 110) An anderer Stelle ironisiert fast melancholisch der Erz�hler die destruktive Gleichschaltung durch die allgegenw�rtigen selbstverliebten Forderungen nach permanenter individueller Gl�cksmaximierung in verschiedenen Bereichen des Lebens: "Jeder wollte nur genie�en, Sex, ohne sich zu binden, keine Kinder. Beziehungen brachen wie trockene Soletti auseinander, keine Utopien mehr, alles Lego. Lego auf dem Teller, Lego-H�user, Lego-Familien, Lego-Musik, Lego-Ideologien in einer Lego-zeit, Lego Krebs." (S. 19)

Hier pr�sentiert der Text seine thematische Palette von Kultur, Familie, Lebensart, Essen, Politik und nat�rlich von Sex, dem von Franzobel mit Abstand am nachhaltigsten metaphorisierten Gebiet. Auch in Conchitas R�sonnement �ber die Domestizierung der Frau in der b�rgerlichen Gesellschaft - MMan wird an die Essenszeit eines Kindes angepa�t, an die Schei�zeit eines Kindes wird man angepa�t, an seine Schlafenszeit." (S. 152) - funkt luzide Kritik an einem Sozialgef�ge auf, das unbemerkt im Freizeitpark der Egoismen aus den Fugen ger�t.

An solchen Stelllen zeigt Franzobel sein Interesse f�r die metaphorisch-metonymische Modellierung des sprachlichen Materials zu Elementen einer �sthetischen Wirklichkeit: "Die Identit�t von Zeichen und Inhalten bringt auch eine Ann�herung zwischen Welt und Bewu�tsein. Franzobel-Bewu�tsein. Der Rest interessiert mich nicht, geht mich nichts an." (Nachwort zu "Thesaurus", 1995). Das, was hier bescheiden als Franzobel-Bewusstsein privat-subjektivistisch anmutet, geht im Text �ber die Komponente der Autorenpers�nlichkeit hinaus, umfasst einen gr��eren Wahrnehmungshorizont, in dem Franzobel eine geradezu halluzinatorische Verkettung von Wirklichkeitseindr�cken sprachlich virtuos entwirft. Zwischen innerem Monolog, Traum, Kulturkritik, Medienfloskel, sentimental-kitschigen Phrasen und absurden Theorien erwachsen dem Text figurale und situative Module einer postmodernen Chim�renwelt.

Die Kraft einer �berzeugenden Parabel gewinnt der Roman in Passagen, in denen er die Abh�ngigkeit des gesellschaftlichen Lebens von inszenierter Wirklichkeit und Drohkulissen parodiert. So ziehen Manker mit Zsmirgel als "Totenv�gel der Gesellschaft" (S. 42) vor die Fabriktore und k�ndigen grundlos den nahenden Bankrott des jeweiligen Unternehmens an, der denn auch durch entstandene Massenhysterie und Panikreaktionen eintrifft. Bald schon erpresst Manker die Betriebe, nur gegen Geld seine Prophezeiungen� die Gewinnwarnungen des Marktes, zu unterlassen. So wenig Kompetenz und Sachwissen der kleine Gauner und der naive Journalist auch mitbringen, allein die penetrante B�sartigkeit ihrer Spekulation l�st Katastrophen aus; ein Mechanismus, der an die �bersch�tzten Analysten, Marktbeobachter und Unternehmensberater im Dschungel des globalisierten Kapitalmarktes erinnert. Diese parabelhaften Passagen stehen keinesweges im Mittelpunkt des Romans, eher beil�ufig, ja gerade episodenhaft werden sie in paradoxes Nebeneinander seltsamer Lebensl�ufe und n�rrisch-abartiger Handlungen eingearbeitet, immer wieder garniert mit der bisweilen penetranten Unterleibsmetaphorik.

Der flie�ende �bergang von sprachlichen Bildern und Wirklichkeitseindr�cken, der intensive Perspektiven- und Identit�tswechsel und die nur punktuell greifbare Ich-Erz�hlerin fragmentarisieren die Handlung und verzerren die Gesamttektonik des Textes, ein wohl erw�nschter Effekt des 'Franzobel-Bewu�tseins' in der grotesken Flimmerwelt. Gelingen Franzobel somit auch furiose sprachliche Einzelleistungen, so leidet der Roman darunter, "Lego-Literatur" zu sein, ein dekonstruiertes Mosaik vielf�ltiger scharfsinniger Detailanalysen und Bildwelten. Franzobel literarische �berflutungen an Bildern und Innenansichten reflektieren in ihrer grotesken Heterogenit�t die, so will es scheinen, Reiz�berflutung der postmodernen Gesellschaft.

Insgesamt liest sich der Roman als sprachliche Gaumenfreude mit viel Gesp�r f�r die zeitgen�ssischen sozialen Dissonanzen. "Lusthaus" darf f�r sich die kritische Funktion der Groteske beanspruchen, die die abstrakt-anonymen Widerspr�che der bestehenden Verh�ltnisse durch eine �berzeichnete Darstellung bis zur Kenntlichkeit ver�ndert, sie veranschaulicht, wenn auch die sexualisierten metaphorischen Penetranzen die �sthetische Sprengkraft stellenweise schm�lern.

Benedikt Descourvières

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten
Buchcover: © Zsolnay Verlag, Wien

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