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Rezensionen > Tellkamp, Uwe: Der Eisvogel

"... man kann nicht handeln. Man muß schwatzen"
Uwe Tellkamps Roman "Der Eisvogel"

Uwe Tellkamp: Der Eisvogel. Roman.
Berlin: Rowohlt Berlin Verlag 2005.
ISBN 3-87134-522-9.
318 Seiten.
EURO 19,90


Arbeitsloser Philosoph mit Wut im Bauch trifft Weltverbesserungsschn�sel aus besseren Kreisen, sympathisiert kurz mit dessen radikalen Ideen zur Gesellschaftsoptimierung und erschie�t ihn schlie�lich. So k�nnte man Uwe Tellkamps zweiten Roman "Der Eisvogel" kurz und schmerzlos zusammenfassen. Das Ganze kl�nge ein bisschen nach Dan Brownschem Verschw�rungskrimi, Opus Dei - Sektiererei und den barocken Fantasien fr�her Rammstein-Videos, welche alle miteinander selbst wieder auf Vorbildern fu�en, die nie Vorbilder im Sinne von Urbildern waren, sondern Echos, die auf Echos von Echos antworteten. Etwas h�chst Unselbstst�ndiges also.

Doch verlangen wir nicht Originalit�t im dritten Jahrtausend nach Christi. Nat�rlich spukt ein bisschen Castorp/Naphtha im Verh�ltnis von Tellkamps Wiggo Ritter und Mauritz Kaltmeister (Zwei Namen, die an sich schon verboten geh�rten!). Und wer will - bitte sch�n! -, mag sich auch liebend gern an Faust erinnert f�hlen, ausgesetzt den brennenden Fragen seiner Zeit, gef�hrt von einem Versucher, der klug zu argumentieren versteht, auch wenn er nicht immer Recht hat. Alles okay, alles erlaubt, alles heraussp�rbar aus einem Roman, der sich dem Unbehagen an der deutschen Gegenwart verschrieben hat, ohne diesem Gef�hl, welches Tellkamp und seine Helden sicher mit nicht wenigen teilen, ein wirklich reales Gegengewicht in einem Gedanken, einer Vision, einem praktikablem Programm verleihen zu k�nnen. Nein: "Der Eisvogel" bek�mpft das Unbehagen am Heute mit einer Flucht in die (Neo-) Romantik. Der Herrschaft des Mittelma�es, die er konstatiert, setzt er eine Gegnerschaft aus wohlmeinenden Industriellen und pseudointellektuellen Anw�lten, �rzten und �hnlichen Spinnern gegen�ber, die unterm Strich auch nichts anderes sind als gutsituierte Schw�tzmaschinen. Vielleicht liegt der Roman damit in einem Trend. Aber ist windschnittige Literatur a priori gute Literatur?

Dabei hat Tellkamp in den Seitenstr�ngen seiner Handlung Material angeh�uft, welches mehrere andere und - voraussichtlich sogar - bessere Romane locker tragen k�nnte. Perlen �tzender Mediensatire gl�nzen da auf, ohne dass sie geborgen w�rden. Deftige Akademikerschelte klingt an, aber sogleich auch wieder ab. Und �ber die Arbeitslosigkeit und wie sie den Menschen von innen her zerst�rt, finden sich bedenkenswerte Worte. Aber das alles dient nur als Garnitur, Beilage, Zierwerk. Denn Tellkamp will nicht auf die Nebenschaupl�tze oder was er daf�r h�lt, ihn zieht es in die vorderste Linie. Seine Kritik gilt dem Ganzen, und unter dem macht er es nicht.

Allein der 1968 in Dresden geborenen Autor, um den man im Moment im hiesigen Feuilleton soviel Trara macht wie um keine zweite Gestalt aus der Kunstszene, kann eines wirklich fabelhaft. Er kann schreiben. Und komponiert ist, was inhaltlich im "Eisvogel" viel zu kolportagehaft daherkommt, tats�chlich auf's Feinste. Da ist ein Stimmenchor am Weben, eine Perspektivverschiebungskunst am Hin- und Her- und Auf- und Abblenden, ein Wortjongleur am Metaphernfinden und Symbolisieren, der seinesgleichen sucht. Da gibt es eine Rahmen- und eine Binnenhandlung, eingestreute Zeugenaussagen, wunderbare Aufz�hlungen und sogar - auf Seite 124f. - die brillante Beschreibung des eigenen Stils, wie der Roman ihn pflegt: "... er spann wahre Satzlianen, ausschweifende, komplexe, reiche Perioden; aber es wollte lange kein Raum entstehen, die S�tze, die man las, glichen zersplitterten und wieder gekitteten Blumenvasen, man hatte den Eindruck, da� die Scherben nicht in der regelrechten Ordnung zusammengef�gt waren ..." Und doch: wozu das Ganze? Der Auftrieb der Mittel und Mittelchen? Das Geklirre und Gerassel und Gekeuche und Gejauchze? Der hohe Ton? Die Raffinesse?

"Der Eisvogel" hat mir - ehrlich gesagt - kein gutes Gef�hl verursacht, auch weil er v�llig ohne L�cheln geschrieben zu sein scheint. Die Kurve, die Freund Wiggo schlie�lich gerade noch kriegt, wirkt nicht sehr �berzeugend. Was ich zu sp�ren glaube, ist die kalte Faszination am Kaputtmachen, die �ber vielen Passagen schwebt. Doch Zerst�ren wof�r? F�r einen "Ordens- und Kastenstaat", ein St�ndegebilde, wie es den am Starnberger See in nobler Runde versammelten Aristokraten vorschwebt? Ist das tats�chlich die L�sung? Auch der Roman verneint das, indem er seinen suchenden Helden am Ende den Versucher Mauritz Kaltmeister t�ten l�sst. Doch diese Tat aus momentaner Einsicht beseitigt nicht die ungute Stimmung in einem Land, in dem, mit Tellkamps Worten, "die Demokratie nicht funktioniert".

Dietmar Jacobsen

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Homepage des Autors Dietmar Jacobsen:
www.text-und-web.de

Buchcover: © Rowohlt Berlin Verlag, Berlin

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