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Rezensionen > Vargas, Fred: Die dritte Jungfrau

Jeder Wahn folgt seiner Bahn oder Auf der Suche nach
dem ewigen Leben

Fred Vargas Roman "Die dritte Jungfrau"

Fred Vargas: Die dritte Jungfrau. Roman.
Aus dem Französischen von Julia Schoch.
Berlin: Aufbau Verlag 2007.
ISBN 978-3-351-03205-0.
474 Seiten. - EURO 19,95


Am Anfang hat man viele Handlungsf�den. Da zieht Jean-Baptiste Adamsberg, der Wolkenschaufler und Kommissar, in eine neue Bleibe ein. Da liegen zwei Taugenichtse mit durchschnittenen Kehlen mitten in Paris. Mehr als hundert Kilometer landeinw�rts t�tet ein Unbekannter zwei Hirsche und rei�t ihnen das Herz aus dem Leib. Und eine brutale M�rderin entkommt im fernen Freiburg aus dem Gef�ngnis und wird zur t�dlichen Gefahr. Kurz: Es ist alles wie immer bei Fred Vargas.

Auch in ihrem aktuellen Roman "Die dritte Jungfrau" ordnen sich die Dinge erst ganz allm�hlich. Kunstvoll und raffiniert werden sie aufeinander zugeleitet, ehe der Leser im grandiosen Finale begreift, dass wirklich kein Thema umsonst angeschlagen wurde und selbst jene F�hrten, die scheinbar allein der Ablenkung dienten, dem Aufmerksamen viel zu sagen hatten. Und alles v�llig ohne M�he. Mit einer erz�hlerischen Souver�nit�t, die im europ�ischen Kriminalroman unserer Tage ihresgleichen sucht. Und einem Charme und einer Poesie, die geradezu einzigartig sind. Chapeau!

Zum Gl�ck kann sich die Vargas auf ihr Kernpersonal verlassen. Es ist gut eingef�hrt und scheint oft nur aufs Stichwort zu warten, um zu erscheinen. Wieder ist einer der drei arbeitslosen Jungakademiker dabei, die man seit "Die sch�ne Diva von Saint-Jacques" als die "drei Evangelisten" kennt. Diesmal ist es Matthias, der in Sachen Kleidung ziemlich unkonventionelle Experte f�r Ur- und Fr�hgeschichte, dessen Wissen vonn�ten ist. Nat�rlich darf Camille Forestier nicht fehlen, Adamsbergs gro�e Liebe, die ihm inzwischen einen Sohn geboren hat, ansonsten aber wegen der in fr�heren Romanen geschilderten Entt�uschungen auf die Kameradschaftsschiene ausgewichen ist. Nun darf der Vater zwar gelegentlich auf das Kind aufpassen, muss allerdings auch wieder einmal eine von Camilles Aff�ren verkraften, was ihn auf eine sehr harte Probe stellt. Und auch Danglard, f�nf Kinder allein erziehend und als laufendes Lexikon mit Hang zu Alkoholischem schon am Vormittag Probleme bereitend, fehlt nicht, genausowenig wie ein von ihm in die Abteilung eingeschleppter Kater namens "Die Kugel", dem man allerdings einmal in ganz ungewohnter, n�mlich lebensrettender Funktion begegnet.

Doch damit nicht genug. Nat�rlich braucht ein neues Buch auch neue Typen und noch nie war Fred Vargas um solche verlegen. Herrlich diesmal die l�ndliche M�nnerrunde, mitten aus dem Leben gegriffen und klug die Ereignisse kommentierend, immer dann eingreifend, wenn dem St�dter die Fantasie ausgeht, von urw�chsiger Lebendigkeit und bodenst�ndiger Schl�ue. Hintersinnig die Figur des Neuen in der Abteilung, Veyrenc, der in zw�lff��igen Versen � la Racine spricht und mit dem Kommissar ein Geheimnis aus der Kindheit teilt, das aufgekl�rt werden muss, damit Frieden zwischen ihnen herrschen kann. Und so geheimnisvoll wie anziehend die neue Gerichtsmedizinerin Ariane Lagarde, mit der Adamsberg fast einmal im Bett gelandet w�re, h�tte er sich damals nicht mit ihr verkracht.

Und worum geht es bei dem Ganzen? Nun ja, wir wollen nicht zu viel verraten. Aber es geht tats�chlich um die letzten Dinge. Um die Unausweichlichkeit des Alters und die Sehnsucht, ihm zu entgehen. Um Liebe und Betrug. Um eine kr�ftig in die Gegenwart hineinregierende Vergangenheit, der man sich stellen muss, will man im Heute bestehen. Um Einsamkeit und Schuld, Wahn und Wirklichkeit. Und nat�rlich um die titelgebende dritte Jungfrau. Deren Schicksal der Tod von fremder Hand ist, wenn es Adamsberg nicht gelingt, sie zu finden vor ihrem M�rder.

Fred Vargas ist ein Ph�nomen. Sie wird von Buch zu Buch besser. Und langsam kristallisiert sich hinter all den sinistren F�llen, die ihre Helden mehr durch Intuition denn durch Kombination l�sen, auch eine Art Botschaft heraus. Es ist der Aberwitz der Menschen, der sie zu Menschen macht, k�nnte man diese formulieren. Die kleinen Absonderlichkeiten und Spleens, die nahezu alle Gestalten des nunmehr neun B�nde umfassenden Roman-Universums der Franz�sin kennzeichnen, individualisieren sie nicht nur auf eine oft wunderbar-poetische Weise, sondern besch�tzen sie auch vor dem Dunklen, das jeder lockend in sich tr�gt. Und weil sie genau damit nicht rechnen k�nnen, haben die T�ter der Vargas im Grunde nie eine Chance. Auch diesmal nicht. Zu perfekt sind ihre Pl�ne, als dass sie wirklich aufgehen k�nnten. Zu gro� das Vertrauen in eine Normalit�t, wie sie nur in der Welt des Wahns existiert. Denn das Leben gehorcht anderen Gesetzen. Da ist nichts vorhersehbar und alles m�glich. Nur eines nicht: Dass das Kalte und Berechnende triumphiert.

Dietmar Jacobsen

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Homepage des Autors Dietmar Jacobsen:
www.text-und-web.de

Buchcover: © Aufbau Verlag, Berlin

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