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| Rezensionen > Walser, Martin: Der Augenblick der Liebe |
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Martin Walser:
Der Augenblick der Liebe. Roman. Gottlieb Z�rn sp�rt, was er lange nicht gesp�rt hat: Die M�glichkeiten klirren. Der ehemalige Grundst�cksmakler, Endsechziger, Privatgelehrter am Bodensee, bekommt Besuch. Beate Gutbrod hei�t die junge Doktorandin, die in Kalifornien an ihrer Dissertation �ber den viel geschm�hten Philosophen La Mettrie arbeitet. Der hatte Mitte des 18. Jahrhunderts die reine Kunst des Genie�ens gepredigt und Empfindungen als einzig wahre Erkenntnisquelle ausgemacht. Vor vielen Jahren hat Gottlieb Z�rn, bekannt �brigens aus Walsers Romanen "Das Schwanenhaus" (1980) und "Jagd" (1988), zwei Aufs�tze �ber den wagemutigen Denker verfasst. Die haben es Beate angetan. Und sie will wissen: Was f�r ein Mensch steckt hinter den klugen Worten? Gottlieb ist verwirrt und fasziniert zugleich. Beate, die personifizierte Lebensbejahung, hat ihm den Kopf verdreht und signalisiert ihrerseits mehr als nur wissenschaftliches Interesse. Anna, Gottliebs Frau, sieht das nicht gerne, nimmt es aber auch nicht allzu ernst. Schlie�lich ist die Besucherin nach wenigen Stunden wieder verschwunden, kehrt zur�ck nach Amerika. Sie hinterl�sst: Aufbruchstollheit, befl�gelte Phantasie, markante Spuren intimen Einverst�ndnisses. Dem gilt es auf den Grund zu gehen, fernm�ndlich erst einmal, gezwungenerma�en. In endlosen Telefonaten kommt man sich n�her, so scheint es. Doch Gottlieb druckst ums eigene Begehren herum, pendelt zwischen N�he und Distanz, zwischen Entbl��ung und Verh�llung, wei� dem "Erwartungsvibrato" der jungen Frau nur seine "Feigheits-Syntax", seine Wortschleier entgegenzusetzen. Nur keinen Erwartungen entsprechen, auch den eigenen nicht, nur keinen Ausbruch aus der behaglichen Unzufriedenheit seines Daseins. Dennoch: Die Lebenswut ist geweckt. Und muss auf ihre Realit�tstauglichkeit �berpr�ft werden. Die Gelegenheit dazu kommt schneller als gedacht: An Beates Uni wird ein internationaler La Mettrie-Kongress einberufen und Gottlieb wird als Referent eingeladen. Der Auftritt selbst wird zum Fiasko: Gottlieb wird vorgeworfen, er interpretiere La Mettries Absage an "nichtsnutzige Schuldgefühle" als Aufforderung, die historische Schuld der Deutschen zu verharmlosen oder gar zu leugnen - unverkennbar eine Anspielung auf Walsers umstrittene Friedenspreisrede von 1998, die die Walser-Bubis-Debatte auslöste. Gottlieb verliert seine Stimme und muss seinen Vortrag schließlich abbrechen. Daf�r erf�llen sich die erotischen Verhei�ungen, aber der Glaube an die Zukunft mit Beate will sich nicht einstellen. Der Moment der Empfindung, der "Augenblick der Liebe" ist rasch vorbei. Die bittere Erkenntnis: "Wir sind ein Schiffbruch, der sich als Stapellauf gibt." Alles nur Illusion. Gottlieb wei�: Er muss zur�ck zu Anna, zur�ck in die Gewissheit der Legitimit�t, in den abgeschotteten Ruheraum gemeinsam erworbenen Schweigens. In Walsers Roman "Die Gallistl'sche Krankheit", vor mehr als drei�ig Jahren erschienen, sagt der Ich-Erz�hler an einer Stelle: "Ich k�mpfe. Mit mir. Da gibt es keinen Sieger." Zur�ck in Deutschland, k�mpft auch Gottlieb mit sich, wissend, dass er nicht gewinnen kann. Trotzdem: Er will wieder zu Beate, aufgehen in ihrer "hymnischen Stimmung", der er beim ersten Mal nicht entsprechen konnte. Beate aber spielt da nicht mehr mit, will sich nicht nochmal die Seele "vernageln" lassen. Kommentarlos schickt sie Gottlieb einen Zeitungsausschnitt, in dem ihre Heirat mit einem Uni-Kollegen angezeigt wird. Vor ein paar Jahren hat Walser einmal in einem Interview gesagt, dass im Roman auch die "schw�rzeste Wirklichkeit noch einen wei�en Schatten" werfe. Gottliebs wei�er Schatten ist Anna, der er nun wieder neu begegnen kann, m�glicherweise. Immerhin, die Aussicht besteht - auf den n�chsten Augenblick der Liebe. Nach all den Tiefschlägen, die der Autor der politischen und literarischen Öffentlichkeit in letzter Zeit verpasst hat: Der 77-j�hrige Martin Walser hat einen im besten Sinne des Wortes altersklugen Roman �ber das Alter geschrieben, �ber Hoffnung und Verbitterung, �ber emotionalen Aufbruch und schmerzhafte Absch�rfungen der Seele. Vor allem muss eines �ber das Buch gesagt werden: Es ist ein Sprachereignis allererster G�te. Wie Walser Augenblicke tiefster Innigkeit, gr��ter innerer Zerrissenheit, Momente des Gl�cks, der Panik, der Verzweiflung in Worte packt - das macht ihm kaum einer nach. Kein Zweifel: Walser hat den vorl�ufigen H�hepunkt seiner Erz�hlkunst erreicht. Holger Dauer © TourLiteratur
/ Autor
Buchcover: © Rowohlt Verlag, Reinbek |