Die
Seele transparent machen
Von Regeln und Ausnahmen - Der Theaterregisseur Oliver Vorwerk
K�stliche Anekdoten wei� er zu erz�hlen.
Vom Dramatiker Heiner M�ller beispielweise, der Zigarre rauchend in der
Theaterkantine sitzt und das ein oder andere hormonverkl�rte Auge auf
junge Schauspiel-Elevinnen wirft. Oder vom gro�en Schauspieler Bernhard
Minetti und seinem Lieblingsspielzeug, einem uralten 280er Mercedes Cabriolet,
mit dem der greise Mime einst als hupender M�dchenschreck die Gegend unsicher
machte. Oliver Vorwerk denkt gerne an seine Bochumer Zeit zur�ck, an seine
B�hnenlehrzeit und seine aufregenden Anfangsjahre als Schauspieler unter
Kult-Regisseur Claus Peymann. Vier Jahre lang hat der geb�rtige Mainzer
in der Ruhrpott-Metropole das Handwerk von der Pike auf gelernt, hat mit
Theaterstars wie Martin Wuttke und Gert Voss, mit sp�teren TV-Gr��en wie
Peter Lohmeyer und dem K�lner "Tatort"-Kommissar Dietmar B�r alias
Freddie Schenk auf den Brettern gestanden, die die Welt bedeuten. "Unglaublich
kollegial" sei Peymann gewesen, schw�rmt Vorwerk, ein Mann, mit dem man
�ber alles reden konnte. Peymann "liebt" seine Schauspieler, hat
schon Minetti in seinen Erinnerungen geschrieben. Oliver Vorwerk kann
das nur best�tigen.
Wie
wird aus einem hoffnungsvollen B�hnendarsteller ein erfolgreicher Regisseur?
Oliver Vorwerk lacht. "Ein geradliniger Weg war das bei mir nicht."
Da mussten einige Karriere-Haken geschlagen werden. Aber wie hei�t es
so sch�n: Wer Umwege macht, lernt die Umgebung besser kennen. Und Oliver
Vorwerk kennt sich bestens aus im Metier. Kaum vollj�hrig, hat er in Bochum
schon in zehn St�cken gespielt. Dann geht er f�r zwei Jahre nach Bremen,
zu G�nter Kr�mer, bei dem er in Shakespeares "Richard III." brilliert.
Kr�mer ist einer, der seinen Akteuren alles abverlangt, sie physisch und
psychisch �ber ihre Grenzen treibt. "Es war meine h�rteste Theaterzeit",
erinnert sich Oliver Vorwerk. 22 Jahre alt ist er und erlebt sein erstes
Burnout. Aber auch gro�e Momente der Inspiration. Als Kr�mer nach K�ln
wechselt, will er Vorwerk mitnehmen. Doch der schl�gt das Angebot aus.
"Nicht wenige haben mich f�r verr�ckt erkl�rt", schmunzelt Vorwerk.
Damals wurde ihm klar: Er will selbst Regie f�hren, seine eigenen Ideen
auf der B�hne realisieren.
Erst
einmal �bernimmt er ein paar kleinere Rollen in Vorabend-TV-Serien, spielt
mit Klaus L�witsch und auch im "Tatort". Was f�r andere ein Traum
ist - f�r Vorwerk bedeutet es nur eine Durchgangsstation. "Fernsehen
ist ganz nett, aber hat so gar nichts von der Intensit�t der Theaterarbeit."
Und auf die will er nicht verzichten. Da kommt der Anruf eines Freundes
gerade recht. In einem kleinen Frankfurter Theater ist der Regisseur ausgefallen
und Vorwerk springt ein. Seine erste Regiearbeit: Goethes selten gespieltes
Lustspiel "Die Mitschuldigen". Direkt danach inszeniert Vorwerk in
den Mainzer Kammerspielen, wo ihn Wolfgang Maria Bauer, der Heidelberger
Oberspielleiter und neue "Siska" sieht. Durch seine Vermittlung kommt
Vorwerk nach W�rzburg. Vier Jahre lang bleibt er als fest angestellter
Regisseur, bringt u.a. Brechts "Kleinb�rgerhochzeit" und - ein vorl�ufiger
H�hepunkt seiner jungen Karriere - Lessings "Minna von Barnhelm"
auf die B�hne. Als in W�rzburg ein neuer Intendant kommt, ist es auch
mit Oliver Vorwerks Arbeit dort vorbei. Er folgt dem Ruf des neuen Chefdramaturgen
des Theaters Nordhausen und geht als Gastregisseur an die kleine th�ringische
B�hne. Es ist die Phase der Klassiker-Inszenierungen, Vorwerk wagt sich
an den "�dipus" von Sophokles und an Shakespeares "Hamlet" -
Kritiker sprechen enthusiastisch von einem "Theaterwunder" in der
Provinz.
Das
allerdings w�hrt nicht lange - das Nordhausener Schauspiel schlie�t, wie
so viele B�hnen in Deutschland. "Gerade im Osten bricht die Arbeit
f�r Theaterleute weg", schimpft Oliver Vorwerk, eine "wahrhaft tragische
Entwicklung". Theater - ein blo�es Luxusgut in unserer sozial gebeutelten
Gesellschaft? Es gibt Fragen, da ist es ratsam, rechtzeitig Deckung zu
suchen. "Gegenfrage: Ist Bildung Luxus?" Oliver Vorwerk wird ungehalten.
"Wer Theater schlie�t, kann genauso gut Schulen schlie�en. Und das
kann wohl kaum einer wollen." Vorwerk ist �berzeugt: "Mehr Geld f�r
Theater bedeutet mehr Geld f�r Bildung." Und das hei�t: "Sinnvolle
Zukunftsinvestition."
Immerhin:
Statistisch gesehen gehen mehr Menschen ins Theater als ins Fu�ballstadion
- sagt der Mainz 05-Fan Oliver Vorwerk. Damit das so bleibe, d�rfe man
das Publikum nie aus dem Blick verlieren. Das habe nichts mit Anbiederei,
mit Angst vor der Konfrontation zu tun, versichert Vorwerk. "Wenn
etwas gut gemacht ist, dann kann man alle Stoffe bringen, kann man jedes
Risiko eingehen. Das Publikum sp�rt das Gute und zieht mit, auch wenn
es sich provoziert f�hlt." Doch davor steht die harte Arbeit mit den Schauspielern.
"Achtzig Prozent meiner T�tigkeit besteht darin, �berzeugungsarbeit
zu leisten." Das bedeutet: Der Regisseur muss hinh�ren, muss erkennen
k�nnen, was m�glich ist und was nicht. Und: Er muss dem Schauspieler das
Gef�hl geben, dass er hinter ihm steht, in jeder Situation. Trotzdem:
Basisdemokratisch funktioniert das alles nicht. Letztlich entscheide die
Autorit�t des Regisseurs. Im Grunde seien Schauspieler f�r klare Richtlinien
ja dankbar, wei� Oliver Vorwerk. "Aber wenn du nur die kleinste Unsicherheit
zeigst, k�nnen sie �ber dich herfallen wie die Hy�nen." Konflikte bleiben
da nicht aus, Nervenzusammenbr�che inklusive. "Nach jeder Inszenierung
brauche ich mindestens vier Wochen Erholung. Sonst h�lt das kein Mensch
durch."
Sein
k�nstlerisches Credo? "Theater ist f�r mich die einmalige Gelegenheit,
Seele transparent zu machen." Das ist geradezu klassisch gedacht. Schon
1784 sprach Schiller von der "Schaub�hne" als "unfehlbarer Schl�ssel
zu den geheimsten Zug�ngen der menschlichen Seele". Also: Theater als
"moralische Anstalt"? �Ja", bestätigt Vorwerk, "aber
nicht im belehrenden Sinn. Theater ist Chance zur Selbsterkenntnis und
damit eine unsch�tzbare Bereicherung des eigenen Lebens." F�r Vorwerk
geht es um die ureigensten Fragen der Menschheit, um gro�e Gef�hle. "Liebe
und Hass, das ber�hrt wirklich, das geht zu Herzen." Im Musiktheater komme
dies gegenw�rtig vielleicht am besten zur Geltung. Da wundert es kaum,
dass als n�chstes Projekt eine Operninszenierung ansteht. Wo, das wird
noch nicht verraten. Man wei� ja nie �
Die
Schauspieler- und Regie-Legende Fritz Kortner hat einmal vom Theater als
"Sinnbild der Verg�nglichkeit" gesprochen, das B�hnenspiel schaffe
im Grunde "nichts Bleibendes". Von dieser Resignation ist bei dem
36-j�hrigen Oliver Vorwerk nichts, absolut nichts zu sp�ren. Theater,
das ist f�r Vorwerk immer noch der Ort der Leidenschaften, der unb�ndigen
Emotionen, aber auch der radikalen Konzepte. Die sch�nsten Momente seien
die, wenn die "Ausnahme von der Regel" gelinge. Sie sind ihm und
dem Publikum zu w�nschen - die gro�en Gef�hle und - die gro�en Ausnahmen.
Holger
Dauer
© TourLiteratur
/ Autor
Alle Rechte vorbehalten
Eine gekürzte
Fassung des Artikels ist zuerst unter dem Titel "Ohne Karriere-Haken
geht es nicht" in der "Allgemeinen Zeitung", Mainz (Nr.
203 vom 1. September 2004, S. 17) erschienen.
Abbildungen:
Ausschnitte aus der Uraufführung von Hubert Neumanns Theaterstück
"Lusthängen" vom 4. April 2002. Regie: Oliver Vorwerk
© Hubert Neumann, Mainz
Lesen Sie hier die Kritik
zur Uraufführung von Hubert Neumanns "Lusthängen"
(Regie: Oliver Vorwerk)
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