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Rezensionen
> Amila, Jean: Bis nichts mehr geht

Das Zauberwort heißt Calvados
oder Jean Amilas dritter Roman im Saarbrücker CONTE Verlag kommt als herrlich schräge Provinzposse daher

In dem kleinen normannischen Ort Nomville trinken alle. Pfarrer Hulin spricht dem Hochprozentigen zu, bis ihm ein dreitägiger Abstinenzversuch das Leben kostet. Die Schuldirektorin braucht ihre tägliche Dosis, um dem angekränkelten Selbstwertgefühl - immerhin hat sie kein Abitur - aufzuhelfen. Und selbst die Kinder bekommen  ein bräunliches Gemisch aus Schnaps und Kaffee mit in die Schule, auf dass sie üer den schwierigen Mathematikaufgaben nicht einschlafen. Na denn: Prost!

Nur Marie-Anne, die neue Lehrerin, 19-jährig und aus Paris für ein Jahr an die örtliche Mädchenschule delegiert, verweigert sich jeglichem Tropfen. Ja, sie bringt es sogar fertig, ihre Schülerinnen antreten und den berüchtigten „Kaffee mit Schuss“ auskippen zu lassen. Welch ein Wahnsinn in den unruhig flackernden Augen der immerzu leicht schwankenden und debil glotzenden Bevölkerung!

Doch den zeitlich befristeten Auftritt einer modernen Lehrkraft, die dem Antialkoholismus mit markigen Worten eine Bresche zu schlagen versucht, würde das Dorf noch üerstehen. Schwieriger wird es da schon, wenn einer aus den eigenen Reihen plötzlich Ambitionen entwickelt, den gut geordneten Schwarzmarkt durcheinanderzubringen. Pierrot heißt der junge Mann, kommt eben aus dem Algerienkrieg zurück und die Idee, zwischen Schnapsproduzenten und Schnapsverbrauchern eine direkte Verbindung ohne den kostspieligenUmweg üer einen Lieferanten aus Paris herzustellen, lässt ihn von einer Zukunft ohne Sorgen träumen. Ein Traum mit fast revolutionären Folgen.

Der dritte Roman von Jean Amila, den das Mainz-/ Germersheimer Autorenkollektiv mit dem gemeinsamen Künstlernamen Helm S. Germer im Auftrag des CONTE Verlags Saarbrücken aus dem französischen Original üersetzt hat, spielt  auf dem flachen Land unter Schnapsbrennern, Schnapsschmugglern, Schnapstrinkern und tapferen Steuerfahndern. Es gibt jede Menge Lokalkolorit, urige Typen, Schießereien und Verfolgungsjagden. Und das Ganze in einem erzählerischen Tempo, das imponiert, und mit einer Schnitttechnik ausgestattet, die einen an Bourvil und Fernandel und Jean Gabin denken lässt, all jene Helden des französischen Films der 60er und 70er Jahre, die kräftiges Landvolk in bodenständig-heiteren Komödien auf unvergessliche Weise auf die Leinwand zu bringen wussten.

Doch Amila wäre nicht Amila, wenn sein Text in einer Bauernposse sich erschöpfte. So bringt er schnell die Kräfte ins Spiel, die die Kleinkriminellen in der Provinz wie Marionetten tanzen lassen. Und er macht deutlich, dass die Großverdiener im Schwarzhandel nicht die Mogule sein würden, die sie sind, wenn ihre Verbindungen nicht nach ganz oben reichten. Da genügt ein Anruf, um eine nächtliche Polizeiaktion ins Leere laufen zu lassen. Da reicht ein in die Unterhaltung eingestreuter Name, um die Kräfteverhältnisse vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Und da schrecken die wahren Herren des Geschäfts mit dem illegal gebrannten Alkohol auch vor Mord nicht zurück, weil sie sich vor den Folgen ihres Tuns geschützt sehen von einer korrupten Oberschicht in den und im Umkreis der Ministerien.

"Bis nichts mehr geht" ist der heiterste der bisher vorliegenden drei Romane des sich als Noir-Schriftsteller Jean Amila nennenden Jean Meckert (1910 – 1995). An "Mond üer Omaha" (2005 bei CONTE die Reihe eröffnend) reicht er auf Grund der Leichtigkeit seines Themas nicht heran, "Mitleid mit den Ratten" (2006) üertrifft er, auch weil die Sorgfalt des Lektorats wieder deutlicher zu spüren ist als bei der Geschichte von der Kleinkriminellenfamilie, die von allen verachtet wird, mit denen sie es zu tun bekommt.

Übrigens wird aus dem Alkoholschmuggler Pierrot und der mit dem findigen örtlichen Steuerfahnder verwandten Marie-Anne am Ende ein Paar und den skrupellosen Gangstern aus der Hauptstadt geht es richtig an den Kragen. Das hat etwas Märchenhaft-Befreiendes und weckt fast den Wunsch, zu erfahren, was aus den beiden so unterschiedlichen Charakteren wohl werden wird. Doch "Bis nichts mehr geht II" gibt es nicht - glücklicherweise. Und dass die Verhältnisse in Nomville sich grundlegend ändern nach den beschriebenen Ereignissen, dürfte auch sehr unwahrscheinlich sein. Nach allen Turbulenzen und Irrungen wendet sich das Buch erschöpft von den Menschen ab und blickt einer einzelnen Ente hinterher. Doch der Befund ist der gleiche: "Sie war voll wie eine Haubitze."

Dietmar Jacobsen

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Buchcover: © CONTE Verlag, Saarbrücken





Das Buch

Jean Amila:
Bis nichts mehr geht.
Krimi.
Aus dem Französischen v. Bernd G. Bauske (Leitung), Susanne Litterst, Julian Löffler, Christine Rabl und Janina Schmidt.
Saarbrücken: CONTE Verlag 2007.
ISBN 978-3-936950-53-3
210 Seiten - EURO 10,00

Zum Autor
Jean Amila (d.i. Jean Meckert), 1910 in Paris geboren, 1995 gestorben. Debütierte 1942 mit dem Roman "Les Coups". Weitere Werke (u.a.): "Mond üer Omaha", "Die Abreibung" und "Motus".

Links zum Autor
Infos bei "Krimi-Couch"
Biografischer Artikel bei "Wikipedia"
Kurzbiografie (französ.)

Der Rezensent
Dietmar Jacobsen, geboren 1953, Dr. phil., Literaturkritiker, Lektor, Korrektor, Dozent. Lebt und arbeitet in Erfurt.
Zur Website von Dietmar Jacobson

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