Rezensionen > Manotti, Dominique: Letzte Schicht |
"Heitere Saturnalien" "Wirtschaftskrimi" - das klingt alles andere als sexy. Genauso wie Hedge Fond, Risikokapital oder Hans-Olaf Henkel. Wenigstens nicht für mich. Weshalb mich die Etikettierung eines Buches als "Wirtschaftsthriller" eher abschreckt als anzieht. Sofort suchen mich Fluchtreflexe heim. Es geht um Fließbandarbeit und Werksschließungen? Nichts wie weg! Um Machenschaften rings um die Privatisierung eines Staatskonzerns? Ab durch die Mitte! Und das Ganze basiert auch noch auf einer wahren Begebenheit aus der jüngeren französischen Industriegeschichte, dem Kampf zwischen den Global Playern Alcatel und Matra-Daewoo um den Elektronik- und Rüstungskonzern Thomson? Time to say Good-bye! Denken Sie auch so oder ähnlich? Dann vergessen Sie das mal schnell. Denn Dominique Manottis Roman "Letzte Schicht", in Frankreich 2006 erschienen und zwei Jahre später mit dem Duncan Lawrie International Dagger ausgezeichnet, ist ein Knaller. Ein Buch, bei dessen Lektüre mir ständig Émile Zolas berühmtes, aber inzwischen auch schon 125 Jahre altes "Germinal" durch den Kopf ging. Sozial engagiert, knallhart bis an die Grenze des Erträglichen - die für mich da erreicht ist, wo eine alte Frau so brutal wie beiläufig von zwei Ex-Legionären vergewaltigt und anschließend getötet wird -, atemlos, ja fast stakkatoartig geschrieben - James Ellroy steht ganz oben auf der Liste der von Manotti verehrten Autoren - und dem Leser kaum eine Pause gönnend. In Pondange, einem kleinen lothringischen Städtchen, eskaliert ein Arbeitsunfall in einer Bildröhrenfabrik, die der Daewoo-Konzern seit Kurzem hier betreibt. Das Werk macht keinen Gewinn. Die Arbeitsschutzbedingungen sind katastrophal. Die koreanische Leitungscrew wirtschaftet in die eigene Tasche. Weil seit Monaten die versprochenen Prämien nicht gezahlt werden, ist die Stimmmung unter der Belegschaft angespannt. Da braucht es nicht viel und aus einem Funken wie dem Unfall der jungen Arbeiterin Émilienne und der sich diesem Vorfall anschließenden Entlassung der allseits beliebten und geachteten Rolande Lepetit entwickelt sich ein veritables Feuer, dessen Hitze bis nach Paris ausstrahlt. Manotti weiß all das exzellent in Szene zu setzen. Schnelle Ortswechsel führen aus den Werkshallen in die Büros der Fabrikleitung und wieder zurück. Hautnah ist der Leser dabei, hört die Geräusche der Fließbänder, riecht den Rauch eines in Brand gesetzten Produktionsgebäudes und den Schweiß all der erschöpften und empörten Arbeiter, ein Gutteil davon nordafrikanischer Herkunft, was sie nur noch rechtloser macht. Und wenn die spontan aufflackernde Unzufriedenheit sich dann schließlich die politisch-organisatorische Form eines Streiks gegeben hat und die Koreaner aus der besetzten Fabrik entflohen sind - wie gut weiß die Autorin dann zu beobachten, wie die unterschiedlichen Fraktionen der Streikenden aneinandergeraten, Kleinkriminelle ihre Stunde gekommen sehen und gar mancher sein eigenes Süppchen auf der Empörungswelle zu kochen beginnt. Zum richtigen Thriller freilich wird die Geschichte erst dann, wenn sie die lokale Ebene verlässt. Die kleine, unrentable Röhrenfabrik stellt nämlich einen nicht unwichtigen Spielstein im Gerangel zweier Weltkonzerne um ein französisches Rüstungsunternehmen dar, welches der Staat gewinnbringend privatisieren will. Während sie den einen als Argument dienen soll, dass man bereits über traditionelle Verbindungen zu dem zum Verkauf stehenden Unternehmen verfügt, suchen die anderen nach kompromittierendem Material, um eigene Ansprüche besser anmelden zu können. Ein Streik samt den vielerlei Ursachen, aus denen er resultiert, kommt Letzteren natürlich besonders gelegen. Wo es um so viel geht, spielen weder moralische Erwägungen noch Menschenleben noch so etwas wie Fairness dem jeweiligen Gegner gegenüber auch nur die geringste Rolle. Da heuert die eine Seite einen wenig zimperlichen Detektiv an, während die andere ein Söldnerkommando mit reichen Kriegserfahrungen und ohne jeden Skrupel in Marsch setzt, Killer ohne Gewissen, die töten, wo andere diskutieren. Natürlich hat Manottis Roman auch Hauptfiguren. Charles Montoya ist die eine, die unerschrockene Rolande Petit die andere. Er privater Versicherungsermittler, nach Pondange entsandt, um den Koreanern, die zu Beginn die Nase im Konkurrenzkampf deutlich vorn haben, im Auftrag des zweiten Bewerbers noch ein Bein zu stellen. Sie Vorzeigearbeiterin, ohne Einblick in die großen Zusammenhänge, aber an ihrem Platz im Werk eine Instanz. Eine Weile sieht es so aus, als könnte aus diesen beiden etwas werden - aber eben nur eine Weile, dann geht jeder wieder seiner eigenen Wege in einer Welt, die keinen Platz für Moral, Menschlichkeit und Solidarität besitzt. "Letzte Schicht" ist ein Ereignis auf dem europäischen Krimimarkt. Ganz dicht dran an den wirtschaftlichen Realitäten unserer Zeit und spannend bis zur letzten Seite. Voller Realismus in den Details und großartig geschrieben. Nicht ohne Mitgefühl mit all jenen, die die Machtkämpfe der Großen letzten Endes mit ihren Existenzen auszubaden haben - und doch meilenweit entfernt von allen Illusionen unsere politischen und wirtschaftlichen Eliten betreffend. Dietmar Jacobsen © TourLiteratur
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