Danton's Tod oder Peymann's Schweigen
Gedanken zu einer Premiere, Berlin 3.1.2012 - Claus Peymanns
Büchner-Inszenierung am BE
Prolog
Es war sein Verleger, der Georg Büchner den Apostroph in den Titel mogelte, zu Zeiten, als die Verwendung dieses kleinen typographischen Etwas in Ermangelung irgendeiner Rechtschreibregelung noch kein Gegenstand bildungsbeflissener Kleingeisterei war. Dieser, der Kleingeisterei im Allgemeinen wie der Verwendung des heute "Deppenapostroph" geschmähten Häkchens im Besonderen, wohnt zugegebenermaßen großer Unterhaltungswert und einiges Polarisierungspotential innew, suprasegmentale Faktoren eigentlich, denen in Zeiten der Rat- und Sprachlosigkeit plötzlich bedeutungstragende, man könnte fast meinen kriegswichtige Relevanz beikommt. Nun gut, die Postmoderne lebt noch. Sollte dieser Überlebenswille in einer Negation der Morphologie enden, werden wir Dada endlich den Tribut zollen, der ihm gebührt. Wenn wir ehrlich sind, wollen wir ein Ende dieser Epoche, die eine der wenigen ist, die sich ihren Namen in einem Akt an Hilflosigkeit und/oder Selbstüberhöhung selbst gegeben hat, auch gar nicht erleben, denn diesem Eklektizismus muss, so ahnen die Skeptiker, eine Ära des unreflektierten Dogmatismus folgen, der freilich als Werterenaissance verkauft werden wird. Und "verkauft" ist im buchstäblichen Sinne zu verstehen.
Der Apostroph war, als Büchner sein Theaterstück über die französisische Revolution veröffentlicht sah, ohne vorher Korrekturfahnen in den Händen gehabt zu haben, für ihn auch kein Stein des Anstoßes. Vielmehr stieß der junge Autor sich an dem ungefragt hinzugesetzten Untertitel "Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft". Die Dissonanz dürfte darin bestanden haben, dass Büchner durchaus Historizität beabsichtigt und durch seine Treue zu glaubwürdigen Quellen der Revolutionsgeschichtsschreibung auch in beachtlichem Umfang gewährleistet hat, andererseits aber die Ereignisse keineswegs im nationalkritischen Sinne als französische Singularität, sondern vielmehr als menschliches Universalschicksal darstellen wollte. Dieser einundzwanzigjährige Mensch fraß an der Erkenntnis des "Fatalismus der Geschichte", legte diesen in einem dokumentarischem Drama dar, um zu anderem Zeitpunkt Ähnliches in szenischen Fiktionen umzusetzen, wohl ahnend, dass ein Theaterzuschauer sich ungleich leichter durch im Alltag vorstellbare Schicksale als durch historisch distanzierte Charaktere bewegen lässt.
1. Akt
Peymann hat Büchner zweierlei voraus: Erstens hatte er und hat er mehr Lebenszeit. Zweitens gehört er bereits als Figur zum unverrückbaren Inventar der Weltliteratur, indem sein Name im dramatischen Werk eines der größten deutschsprachigen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts titelgebend wurde. Dramolette, zu denen Thomas Bernhards (ohne Apostroph) "Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen" gehört, mögen zunächst bedeutungslos anmuten, haben sich aber doch als visionär erwiesen, wenn man den Erfolg grundsätzlich banaler und aller massenmedialer Orten präsenter Gattungen der "scripted realitiy" betrachtet. Als Inventar der Weltliteratur muss man sich allerdings auch die Frage gefallen lassen, ob man nicht schon Literaturgeschichte ist.
2. Akt
Vor dem Berliner Ensemble steht dem in Bronze gegossenen Brecht der unvermeidliche Brezelverkäufer gegenüber. Proletarisch anmutendes und hauptstädtisch zu bezahlendes Laugengebäck vor der Tür und Getränke, auf die vor allem zweiteres zutrifft, drinnen. Jeans und Kapuzen versus diskret materielle Unbeschwertheit atmende textile Qualität. Im Foyer drängen sich solche und solche, die sich gemeinsam bemühen, ihre gespannte Erwartungshaltung mit Routine und fast schon Langeweile zu überspielen. Die Plätze sind selbstverständlich nummeriert, dennoch stapelt man sich an den Aufgängen. Naja, draußen ist halt ungemütlicher Januar. An einem improvisierten Stand werden schwarz-weiße Devotionalien wie Girlie-T-Shirts – ja, es sind auch durchaus viele junge Menschen da – mit intelligenten Aperçus feilgeboten. Und "Programmhefte" zu sechs Euro. Der diesbezüglich empörte Kritiker ("Prasserei"!) liegt fehl, vielleicht hat er das "Programmheft" – was soll auch drinstehen, das Stück ist doch Programm genug – gar nicht aufgeschlagen: Es handelt sich aber, einige werde sich an diese Tradition aus dem Burgtheater erinnern, um eine komplette Textausgabe einschließlich Strichfassung, Zusatz-, Bildmaterial und einem Lesezeichen mit Büchnerbiographie. Wo bekommt man das sonst für sechs Euro?
3. Akt
Das Offensichtlichste zuerst: In der Inszenierung wird schwarz-weiß gemalt, durch die Kostüme, die Maske und die Kulisse. Nein, letztere ist schwarz an den Wänden und angedeutet rot am Boden, ein Rot, das eine reflektierte Assoziation sowohl zu Thanatos als auch zu Eros zulässt. Nun ja, im Laufe des Stückes kommen noch ein paar, oder sagen wir eine beträchtliche Anzahl Rollen weißen Klopapiers dazu, die sich unfreiwillig als interaktiver als die kleinen, mit massivem, haftendem Grund ausgestatteten Trikoloren erweisen. Bühnenbild und Maskierung wurden von belesenen Kritikern als expressionisisch, also epigon, gescholten, nirgends aber war im Blätterwald zu lesen, dass Karl-Ernst Hermann, ein seit Jahrzehnten bewährter Meister der schlichten und dennoch effektiven Bühnengestaltung, mit seinem spitz nach oben zulaufendem Dreieck zwischen den hohen Wänden eine einfache kafkaeske Metapher für den schon zitierten "Fatalismus der Geschichte" schuf. Und die Alternation zwischen äußerlich begrenzten, aber innerlich offenen Räumen durch den schlichten Einzug einer mit verschiedenen Fenstern versehenen Front war nicht bemüht, sondern einigermaßen genial. Beschwerden über die Gestaltung des Raumes bitte an Peter Brook. Dabei sprechen wir letztlich wieder über Suprasegmentalia.
4. Akt
Büchner gebührt das Verdienst, das epische Theater erfunden zu haben, indem er ein Drama auf die Bühne brachte, dessen Titel den Ausgang bereits verrät. Wichtig war ihm wie Brecht nicht der Ausgang der Geschichte, sondern wie es dazu kam. Der Urheber des oben bereits zitierten Zusatzes der ersten Druckfassung von "Danton’s Tod" sprach also in prophetischer Weise von "Bildern" anstatt von "Szenen", wie es auch Brecht später tun sollte. Mit derlei Überlegungen befasste Büchner sich nicht. Dieser junge Positivist hatte den Anspruch, Geschichte sichtbar zu machen. Damals eignete sich allein die Bühne dafür, heute gibt es dafür weniger seriöse Formate des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die mentalitätsgeschichtlich naturgemäß von großem Interesse sein werden, wenn es zukünftig jemanden reizen sollte, unsere Epoche zu sezieren und ihr endlich einen weniger indulgenten Namen zu geben.
Wiewohl wir im 21. Jahrhundert so geübt wie nie sind, Zusammenhanglosem eine Bedeutung zu geben, da wir sonst in der Bedeutungslosigkeit untergehen würden, sehnen wir uns, nur deshalb gehen wir doch ins Kino und ins Theater, nach einer epischen Sinnführung.
Also Augen und Ohren auf: Büchner legt in seiner Exposition ein persönliches und weltanschauliches Profil seines Protagonisten an. Werkgetreu setzt Peymann Danton und seine Julie in den Vordergrund, während hinten andere sich beim Kartenspiel amüsieren. Das Kartenspiel ist anschaulich, der vordere Dialog ist deklamiert. Suprasegmantalia kommen nur in sehr heterogener und willkürlicher Art zum Tragen. Naja, das kann sich legen oder zu einer Pointe werden. Brandhoff als Danton gerät allerdings an Grenzen. Ob diese freiwilliger oder dramaturgischer Natur sind, bleibt offen: Brandhoff ist jung, Danton war es auch, aber Brandhoff spielt den Danton bar jeglicher Reflektion dessen existentieller Erfahrungen. Peter von Becker schrieb im Tagesspiegel: "nicht politisch, nicht philosophisch, nicht erotisch. Nur athletisch. Der Regisseur lässt den jungen Akteur offenbar völlig allein […]". Kurz: keine Pointe, sondern spielerische und sprecherische Freiheit, die zugebenenermaßen für ein nachhaltiges Theatererlebnis sorgen, da wir noch lange darüber nachdenken: Warum hat der weit charismatischere Sprecher Norbert Stöß nicht den Danton gegeben? Warum hieß der mephistophelische St.Just durchgehend Sang-Juste – Bühnensprecher sind doch in der Lage, diese Laute phonetisch diskriminerbar zu machen – ; aus dem "gerechten Blut" hätte man in expressionistischer Manier etwas herausholen können.
Wenn man es also vom Sehen beurteilte, war das Figurenensemble nicht kohärent. Der faustische Robbespierre von Veit Schubert war da noch ein Lichtblick.
Und die ganze Dramaturgie ist nicht kohärent: Großer Respekt gebührt der Anstrengung, das Stück auf eine aufführbare Fassung zu kürzen. Doch diese Strichfassung lässt den Zuschauer mit der Schwerpunktsetzung allein: Geht es Peymann etwa um die tränenreiche Geschichte des fremdbestimmten Todes? Der Pathos der Frauenrollen lässt es vermuten. Büchners Authentizitätsanspruch ist jedenfalls flöten gegangen, vermutlich du côté du Palais Royal.
Ach ja, dann noch die in der Inszenierung inszenierte Revolution nach der Pause: auch sehr episch, selbst bei der Premiere nicht begeisternd, bis auf das Fazit des Statisten im zweiten Rang: "Dann tut doch was, ihr Spinner!". Von vorgeführter Kleingeisterei oder produktiver Polarisierung sind wir jedoch weit entfernt.
Epilog I
Als wir aus dem Theater kamen, regnete es tatsächlich. "Auch das noch", haben wir trotzdem nicht gesagt. Wir haben lange nachgedacht und waren ratlos. Die Kritiken scheinen die Sprachlosigkeit wortreich zu spiegeln. Immerhin: In dieser noch titellosen Post-Postmoderne ist ein nachhaltiger Denkanstoß sehr zu begrüßen: War Büchner resigniert oder war er Idealist? Um welche Werte wollen wir kämpfen? Den Apostroph? Die expressionistische Bühne? Peymanns Verdienste?
Den humanistischen Dualismus zwischen Erkenntnis und Idealismus?
Epilog II
Noch ein paar Fragen: Büchner wäre 1848 35 Jahre alt gewesen, 1871 58. Was hätte er zu dem finsteren Positivismus gesagt. Dass Büchner ein zu spät geborener Stürmer und Dränger war, ist Unsinn, er war unglaublich modern.
Ich möchte mir vorstellen, er habe Comtes Vorlesungen gehört und sich sein eigenes Urteil gebildet. Der ewig naturalistisch-fatalistisch-fundamentalistischen ("fundamentalistisch" gehörte noch nicht zu Büchners Vokabular, wurde aber von Peymanns Redaktion explizit ergänzt) Bodenlosigkeit Einhalt zu gebieten versucht.
"Dann tut doch was, ihr Spinner!"
Friderike Beyer
© TourLiteratur
/ Autorin
Alle Rechte vorbehalten
Buchcover:
oben: Georg Büchner: Danton's Tod. Text und Kommentar. Hrsg. v. Joachim Hagner. 2. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2007.
© Suhrkamp Verlag,
Berlin
Mitte: Georg Büchner: Dantons Tod. Stuttgart: Reclam Verlag 1986. (= RUB. 6060.)
© Reclam Verlag, Stuttgart
unten: Hansjürgen Popp: Lektürehilfen - Dantons Tod. Georg Büchner. 7. Aufl. Stuttgart: Ernst Klett Verlag 2008. (= Klett LernTraining.)
© Ernst Klett Verlag, Stuttgart
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Die Inszenierung
Georg Büchner: Danton's Tod.
Berliner Ensemble.
Premiere: 3. Januar 2012.
Inszenierung: Claus Peymann.
Bühne: Karl-Ernst Herrmann.
Kostüme: Mads Dinesen, Wicke Naujoks, Julia Schweizer.
Musikalische Leitung: Martin Klingeberg.
Mit Ulrich Brandhoff (Danton), Veit Schubert (Robespierre), Katharina Susewind (Julie), Angela Winkler (Marion), Georgios Tsivanoglou (St. Just) u.a.
Karten-Information
Berliner Ensemble / Theater am Schiffbauerdamm
Bertolt-Brecht-Platz 1
10117 Berlin
Theaterkasse - Tel.: 030 / 284-08 155
E-Mail: theaterkasse (at) berliner-ensemble.de
Weitere Aufführungen:
16.1., 21.1., 2.2., 8.2., 19.2., 25.2., 2.3.
Zum Regisseur
Claus Peymann, geboren am 7. Juni 1937 in Bremen, gehört zu den bedeutendsten Theater-Regisseuren der Bundesrepublik. Nach Anfängen in Hamburg, am "TAT" in Frankfurt am Main und an der Berliner Schaubühne war er von 1974 - 1979 Schauspieldirektor in Stuttgart, 1979 - 1986 in Bochum und dann 12 Jahre lang Direktor des Burgtheaters in Wien. Seit 1998 ist er Intendant und Geschäftsführer des Berliner Ensembles.
Weiterführende Links
Homepage des Berliner Ensembles
Claus Peymann bei "Wikipedia"
Zum Nachlesen: Büchners "Dantons Tod" im "Projekt Gutenberg"
Die Kritikerin
Friderike Beyer, Dr. phil., Jahrgang 1968. Studium der Romanistik, Germanistik und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Mainz, studierte zwei Semester Langue et Civilisation Française an der Sorbonne in Paris. 1. Staatsexamen Deutsch und Französisch 1995, Aufbaustudium Deutsch als Fremdsprache 1998, Lehrtätigkeit DaF in der Erwachsenenbildung. Zweites Staatsexamen 2002. Promotion in romanischer Philologie 2004. Studienrätin in Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz).
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