Rezensionen > Raab, Thomas: Der Metzger holt den Teufel |
"Wenn du glaubst, geht nix mehr, kommt Licht." Ach ja, die Großkopferten! Hocken auf ihren gewaltigen Landsitzen. Blasen zur Jagd, wenn sie Lust haben. Verbergen hinter formvollendetem Auftreten ihre schofligen Charaktere. Und glauben, letztlich ließe sich jedes Problem dieser Welt mit ein paar Banknoten oder drei, vier Zeilen eines Empfehlungsschreibens beheben. Worunter selbstredend auch alles Ungemach fällt, das von der eigenen Brut - den Herren Söhnen und Fräulein Töchtern - bedacht oder unbedacht losgetreten wird. Schlimm, wirklich schlimm, diese Menschen - aber man braucht sie halt. Zum Beispiel, wenn man eine kleine Restauratorenwerkstatt betreibt und über Wochen, ja Monate die Auftragslage stagniert. Da ist man denn doch froh über jede Nudelmeierkiste, jeden Louis-seize-Hocker, jede Early-Tudor-Einbauküche. Sollte dann noch so ein Herr daherkommen wie jener Wernher Freiherr von Mühlbach, dahergeschwommen kommen besser und zwar auf den letzten Tönen von Igor Strawinskys "Le Sacre du printemps", einer, der ein ganzes Schloss voller so wertvoller wie restaurierungsbedürftiger Antiquitäten besitzt und obendrein das Geld hat, fürs Aufpolieren jener zahllosen alten Schränke, Sekretäre und Truhen gut - und pünktlich - zu bezahlen, man wäre ja direkt dumm. Also macht sich der Metzger, Willibald Adrian Metzger, Thomas Raabs Wiener Hobby-Detektiv, der eigentlich gar nicht so gefährlich leben möchte, wie er das nun schon zum vierten Male muss, auf ins spätklassizistische Palais Mühlbach. Und weil ihm das Schicksal gerade eine Stiefschwester vorbeigeschickt hat, Frucht einer der vielen Seitensprünge seines regen Vaters, nimmt er die auffällige Schönheit natürlich mit aufs Land und mitten hinein in ein Abenteuer, in dem beide Neugeschwister Federn lassen müssen. Derweil werden in Wien Musiker gemetzelt. Nicht irgendwelche Straßenmusikanten, sondern Angehörige des ersten Klangkörpers der Stadt. Drei Frauen insgesamt, so dass die Orchestervereinigung von da an ganz ohne das belebende weibliche Element auskommen muss, später noch der Sologeiger, ein besonders widerliches Exemplar seines Berufsstands. Außerdem klinkt sich eine gewisse Sandra Kainz, von der der Leser vorerst nichts als den Namen erfährt, regelmäßig in einen Internetchatraum ein und wundert sich über einen dort herumschwätzenden Stammgast, der als "Kammerton" auftritt und düstere Gewaltakte prophezeit. Und auch ein Kind muss als vermisst gemeldet werden, nachdem es dem von Strawinskys Frühlingsweihe gestressten Konzertbesucher Metzger auf dem Nachhauseweg das Jackett stibitzt hat. Am nächsten Morgen ist die Jacke wieder da, sorgsam zusammengelegt auf dem Fußabtreter vor der Metzger-Wohnung, der kleine Philipp Konrad aber bleibt noch eine ganze Weile verschwunden. Ja, es ist eine Menge kriminelle Energie am Werk im neuen Thomas Raab. Aber - und das sind wir ja inzwischen gewohnt vom Wiener Autor -, keine Bange, es hat alles irgendwie miteinander zu tun. Fein gesponnen sind die Fäden in diesem Roman. Aber so fein nun auch wieder nicht, als das einer verlorengehen könnte. Nein, Raab behält die Übersicht und präsentiert seinem Leser nach etlichem Auf und Ab, Szenen voller Komik und Sentenzen voller galliger Lebensklugheit eine einzige teuflische Intelligenz, die aus dem Schatten heraus die Dinge lenkt. Beziehungsweise zu lenken meint - denn nicht der Teufel holt den Metzger, sondern "Der Metzger holt den Teufel". Eifrige Raableser werden inzwischen sicher unruhig geworden sein, weil ich noch kein Wort verloren habe über das Zentralgestirn in Willibald Adrians Welt. Ihnen sei empfohlen: Schaut noch mal hoch zur Überschrift! Wer anders könnte so sprechen, wenn nicht die wunderbare Danjela Djurkovic? Und natürlich ist sie wieder dabei, wie auch ihre alte Freundin Zusanne Vymetal, die wir im letzten Metzgerband, "Der Metzger geht fremd", so schmerzlich vermissten, zumindest Erwähnung findet und des Metzgers treue Freunde - Kriminalpolizist Eduard Pospischill und Hausmeister Petar Wollnar - ihre gewohnten Rollen souverän - wenn auch leider in einem Falle zum letzten Mal - herunterspielen. Das alles klingt nach jeder Menge Lesespaß? Im Vertrauen: Es klingt nicht nur so. Ich jedenfalls habe Thomas Raabs vierten Metzger-Roman, einmal zur Hand genommen, erst wieder aus derselben gelegt, als Seite 351 unten erreicht war. Und ich hätte gerne weitere 351 Seiten in Kauf genommen, wenn da weitere 351 Seiten gewesen wären. Waren aber nicht - besagte Seite war die letzte. Und deshalb sind wir nun wieder zum Warten verdammt. Denn Thomas Raab schreibt nicht nur, sondern er komponiert auch noch und macht selber Musik. Und schlafen muss er sicher auch ab und an. Also wird’s wohl mindestens ein Jahr dauern, bevor uns der sympathische Wiener Restaurator das nächste Mal über den Weg läuft. Doch nicht verzweifeln! Denn wie sagt Danjela Djurkovic, der in "Der Metzger holt den Teufel" nach einem veritablen Eifersuchtsanfall ein Herzenswunsch in Erfüllung geht: "Wenn du glaubst, geht nix mehr, kommt Licht." Dietmar Jacobsen © TourLiteratur
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