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Rezensionen
> Bach, Mischa: Der Tod ist ein langer, trüer Fluss

Menschen, Orte, Atmosphäre
Mischa Bachs Krimi-Novelle "Der Tod ist ein langer, trüer Fluss"

Gleich zu Beginn ihrer Kriminalnovelle "Der Tod ist ein langer, trüer Fluss" umspinnt die in Neuwied geborene Autorin Mischa Bach ihr Publikum mit einem ganzen Netz von Anspielungen. Eine junge Frau wurde vor einiger Zeit halbtot aus dem Rhein gerettet. Ihr Gedächtnis hat sie verloren. Nun arbeitet sie als Aushilfe in der Bonner Rechtsmedizin. Die Kollegen haben ihr den Namen Ophelia gegeben. Sie zeigt eine besondere Affinität zu den Wasserleichen, die eingeliefert werden, ist auf der Suche nach ihrem Hamlet. Ihre Beziehung zu den Toten geht so weit, dass sie mit ihnen kommunizieren kann. Eines Tages wird die Leiche eines jungen Fixers eingeliefert, der sie zu kennen scheint. Offensichtlich führt üer ihn eine Spur in ihre verlorene Vergangenheit zurück. Die Anspielungen auf Shakespeares Drama erschöpfen sich allerdings im Namedropping, für die Handlung spielt es keine Rolle. Ebenso wenig haben die sprechenden Toten eine wirkliche erzählerische Funktion und üerdies ist die Idee auch nicht so originell, erinnert ein wenig an den Film "The sixth sense". Immerhin - und das ist die besondere Stärke der Novelle - verleihen ihr diese beiden Ideen eine große atmosphärische Dichte. Was ihr darüer jedoch völlig verloren geht, ist die Spannung.

Bach gelingt es vortrefflich, Menschen und Orte einzufangen. Nicht umsonst erhielt sie für das Manuskript ihrer Novelle 2001 den Martha-Saalfeld-Preis des Landes Rheinland-Pfalz. Ihre Beschreibungen des Koblenzer Bahnhofsmilieus, der Häuser und Menschen in den Vorstädten sind eindringlich und intensiv: "Also ging ich die ausgetretene, schmutzige Treppe runter, Richtung Hauptausgang, quer durch das veraltete Gebäude, das nach muffiger Provinz roch. Die Mischung aus Schweiß, Moder, Urin und Imbissgerüchen beschleunigte meinen Schritt. Der Gang, der die verschiedenen Gleise miteinander verband, gab mir mit seinen niedrigen Decken das Gefühl, im Untergrund zu sein, mich in irgendwelchen Katakomben verirrt zu haben. Plötzlich, gänzlich unvermutet und zugleich sehr unpassend wölbte sich der Steinhimmel der Haupthalle hoch üer mir, ohne dass ich das Gefühl der Enge, der Bedrücktheit dadurch verlor. Endlich erreichte ich die schweren Glastüren, stieß sie auf, ein Schritt noch - ich war draußen." (Bach, S. 23f.) Mit der gleichen Akribie beobachtet und seziert sie das Verhalten und die Gefühlsregungen ihrer Figuren. Doch indem Bach darauf sehr viel erzählerische Energie verwendet, rückt die Handlung in den Hintergrund. Die einzelnen Szenen verselbständigen sich, entfalten ihr starkes und prägnantes Eigenleben.

Der gleiche Effekt kann beim Bezug zu Shakespeares "Hamlet" beobachtet werden. Das Name-Dropping verleitet dazu, permanent nach weiteren Beziehungen zwischen Novelle und Drama zu suchen. Taucht irgendwo ein ermordeter Vater auf, der vom Sohn Rache fordert? Gibt es irgendwo eine untreue Mutter; einen melancholischen Helden; eine Verlobte, die ihren Hamlet plötzlich nicht mehr versteht und sich durch sein Verhalten erniedrigt und gedemütigt fühlt; ein Spiel im Spiel, das alles aufdeckt; eine Kette von Verwicklungen, die in grausamer Unaufhaltsamkeit auf ihr tödliches Ende zutreibt? Alles das gibt es nicht! "Hamlet" wird reduziert auf den kläglichen Rest eines Liebesbekenntnisses, das sich unterstrichen in einer gelben Reclam-Ausgabe findet: "Ich liebt' Ophelien; vierzigtausend Brüder mit ihrem ganzen Maß von Liebe hätten nicht meine Summ erreicht." (Bach, S. 11)

Muss für ein solches zugegebenermaßen poetisches Liebesbekenntnis jedoch gleich der ganze "Hamlet" herhalten? Bach zieht aus dem intertextuellen Spiel mit "Hamlet" keinen Nutzen für die Handlung ihrer Novelle, sondern verbleibt an der Oberfläche, bewegt sich nur im Atmosphärischen, indem sie die Namen klingen lässt. Sie spielt nicht mit Erwartungen, mit ihrer Erfüllung, Enttäuschung oder mit plötzlichen Kehrtwendungen. Sie setzt die Hamlet-Handlung nicht voraus, erzeugt damit keine Erwartungen beim Leser, mit denen sie dann operiert. Doch macht nicht genau dies die Spannung eines Krimis aus: Falsche Fährten; Doppelbödigkeit; versteckte oder beiläufige Hinweise und Bemerkungen, die plötzlich durch eine üerraschende Wende relevant werden oder neue Aspekte eröffnen? Festgestellt werden muss, dass dies alles in "Der Tod ist ein langer, trüer Fluss" fehlt.

Gleiches gilt für die sprechenden Toten. Relativ rasch wird klar, dass Ophelia im ertrunkenen Fixer ihren ehemaligen Geliebten gefunden hat. Nach und nach trägt sie die Puzzleteile zusammen. Sie gerät an Personen und Orte, die ihr bekannt vorkommen und die dann auch tatsächlich ehemalige Schauplätze ihres früheren Lebens sind. Die Dialoge mit dem toten Fixer erhellen Details, geben entscheidende Hinweise zum exakt richtigen Zeitpunkt, führen jedoch niemals in die Irre und sind niemals doppelbödig. Das Überraschungsmoment fehlt! Sein langer Bericht von seiner Suche nach ihr, seine Reise an ihren vermeintlichen früheren Wohnort geht ebenfalls ins Leere: er enthüllt keine Vorgeschichte sondern lediglich, dass Ophelia schon in ihrem früheren Leben keine Vorgeschichte hatte.

Die Ich-Erzählerin bleibt somit bis zum Ende ein unbeschriebenes Blatt, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Es gehört offensichtlich zu ihrer Eigenart, nichts an sich haften lassen zu wollen, nach keiner Vergangenheit und keiner Zukunft zu verlangen, sondern ausschließlich in der Gegenwart leben zu wollen: "Als müsste ich die Vergangenheit nur loslassen, nicht mehr danach suchen, damit sie mich losließ, mich freigab für das Leben." (Bach, S. 30)

Eigentlich muss die Frage so lauten: Will diese Ich-Erzählerin ihre schlimme Vergangenheit nicht vergessen, um üerhaupt leben zu können? Aber genau dies kann man nicht wissen! Die Ich-Erzählerin bleibt ein Rätsel und soll es auch sein und bleiben. Gravierend sind die Auswirkungen für das Erzählen: Ohne ein Vorher und Nachher entsteht keine wirkliche Handlung, wird alles zur Atmosphäre. Dadurch wäre bereits in der Anlage der Novelle der Verzicht auf Spannung gegeben und die Kritik hieran dürfte sich weniger gegen die Autorin richten, insofern zu vermuten ist, dass sie sich darüer im Klaren war, als vielmehr gegen die verfehlte Erwartungshaltung des Lesers, der von einer Kriminalnovelle anderes erwartet hatte.

Und dennoch bleibt der Einwand bestehen, und zwar bezogen auf jenen Teil der Handlung, welchen der Leser mitverfolgen darf und der sehr wohl ein Vorher und ein Nachher hat. Ohne diese Voraussetzung ist üerhaupt kein Erzählen denkbar. Auf diesem Zeitabschnitt lastet der Einwand, dass alles, was mit Bedeutung versehen wird, auch tatsächlich bedeutsam ist. Schon frühzeitig teilt Bach die Relevanz von Figuren, Orten und Fakten ihren Lesern mit. Man weiß frühzeitig, woran man ist: "Als sie nach Salmbach fragt, will ich sie am liebsten packen, ihr den Hörer entreißen, laut schreien - aber für all das braucht man einen Körper." (Bach, S. 27) So reagiert der tote Fixer auf Ophelias Absicht, mit dem Leiter des Drogendezernats in Koblenz telefonieren zu wollen. Schon jetzt weiß der Leser, dass Salmbach eine entscheidende Rolle spielen wird und genau dies wird sich später bestätigen. Wenn Ophelia glaubt sich erinnern zu können, so handelt es sich auch tatsächlich um einen Aspekt ihres früheren Lebens. Lediglich eine Überraschung hebt sich Bach bis zum Schluss auf, doch verpufft sie in merkwürdiger Weise, weil auch sie dem Geschehen keine neue Wendung gibt. Sie wirkt wie eine nähere Erläuterung, wie ein weiteres Detail, das das Puzzle zwar vervollständigt, doch ist dessen Bild schon zu lange bekannt. Das Puzzle bekommt keine neue Farbe, das Bild ändert sich nicht mehr.

"Der Tod ist ein langer, trüer Fluss" wird also nicht unbedingt einen Leser zufrieden stellen können, dessen vornehmliches Interesse auf die Frage, wer war der Täter, gerichtet ist. Schon allzu bald wird er in der Lage sein, diese Frage zu beantworten, ohne dass er noch mit einer verblüffenden Wende konfrontiert sein wird. Wer als Leser eine rätselhafte Geschichte erwartet, die sich allmählich, Stück für Stück, aufklärt, ist schon eher zu diesem Buch von Mischa Bach zu raten, wenngleich das Rätsel trotz vieler Verstrickungen und Umwege nicht zu kompliziert erscheint. Zum Lesevergnügen wird die Novelle dem Leser, der Freude findet an der minutiösen Beschreibung von Personen und Orten und gerne eintaucht in eine Geschichte.

Stefan Ringel

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Buchcover: © Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt/Main





Das Buch

Mischa Bach:
Der Tod ist ein langer, trüer Fluss.
Kriminalnovelle.
Frankfurt/M.: Verlag Brandes & Apsel 2004.
ISBN 978-3-86099-503-7
112 Seiten - EURO 9,90

Zur Autorin
Micha Bach, Jahrgang 1966, geboren in Neuwied/Rhein, Studium der Germanistik, Anglistik und Filmwissenschaft, Promotion zum Dr. phil. 1997. Martha-Saalfeld-Förderpreis 2001. Weitere Romane: "Stimmengewirr" (2006) und "Rattes Gift" (2009). Auch Drehbücher, etwa für die Serie "Polizeiruf 110".
Mitglied der Autorinnengruppe "Mörderische Schwestern" und im "Syndikat".

Links zur Autorin
Infos bei "Krimi-Couch"
Mischa Bachs Blog
Porträt in der "Rheinzeitung"

Der Rezensent
Stefan Ringel, geboren 1963. Studium der Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Mainz. 1996 Promotion. Freier Journalist. Leiter des Forschungs-Forums der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft. Werke (u.a.): "Realität und Einbildungskraft im Werk E.T.A. Hoffmanns" (1997) und "Heinrich Mann. Ein Leben wird besichtigt" (2000).

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