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Rezensionen
> Seghers, Jan: Partitur des Todes

Orpheus in Auschwitz
oder Kommissar Marthaler klärt seinen dritten Frankfurter Fall

Und wieder kann man einen Stadtplan der Mainmetropole zur Hand nehmen und ihnen durch die Straßen und üer die Plätze, an die Tatorte und Nebenschauplätze folgen - den Männern und Frauen der Mordkommission 1 um Hauptkommissar Robert Marthaler, die man schon aus den Romanen "Ein allzu schönes Mädchen" (2004) und "Die Braut im Schnee" (2005) kennt. Der Frankfurter Autor und Kritiker Matthias Altenburg, der sich als Kriminalschriftsteller Jan Seghers nennt, hat für sein sympathisches Team einen neuen Fall erdacht und Kenner seiner bisherigen Romane werden es genießen, sich schon nach ein paar Seiten wieder ganz heimisch zu fühlen.

Tief in die Vergangenheit nimmt uns "Partitur des Todes" mit. Das Buch beginnt mit einem Prolog, der im Oktober 1941 in Frankfurt spielt. Um ihren Sohn vor der Deportation zu retten, schickt ein jüdisches Ehepaar den Zwölfjährigen für die Nacht, in der es von der Gestapo abgeholt werden soll, zu Freunden. Die wohnen genau gegenüer und so kann Georg Hofmann nicht nur beobachten, was mit seinen Eltern geschieht, sondern jahrzehntelang wird er ihnen auch nachtragen, dass sie mit einer Lüge aus seinem Leben geschieden sind. 

63 Jahre später, im Mai 2005, erreichen den inzwischen als Pensionär in Paris Lebenden endlich Nachrichten aus jenen dunklen Zeiten, die er trotz aller Mühe nicht zu vergessen vermochte. Durch einen Zufall - der Fernsehsender arte in Gestalt einer jungen, ambitionierten Journalistin sendet ein Porträt des nie wieder in sein Heimatland zurückgekehrten Emigranten - wird die Identität des Mannes publik und er erhält endlich ein Päckchen von seinem Vaters, welches länger als ein halbes Jahrhundert auf verschlungenen Wegen unterwegs war. Sein Absendeort ist Auschwitz, sein Inhalt mehr als brisant. Denn auf der Rückseite einer die Musikwelt elektrisierenden alten Partitur hat der KZ-Häftling festgehalten, was und wer ihm in dem faschistischen Vernichtungslager begegnete. Diese Informationen und nicht der Wert einer unbekannten Operette Jaques Offenbachs sind es, die Kommissar Marthaler und seinen Kollegen eine Mordserie bescheren, wie sie Frankfurt lange nicht erlebt hat.

"Partitur des Todes" ist ein gut recherchierter und routiniert geschriebener Roman. Er macht nicht atemlos vor Spannung, sondern lässt sich zwischendurch auch einmal für ein oder zwei Tage weglegen. Indem er - wie schon seine Vorgänger - viel von der wenig spektakulären Alltagsarbeit der Kriminalisten einzufangen sucht, dicht an ihnen dranbleibt und sie seinen Lesern als Menschen nahebringt, weckt er Interesse weit üer den Einzelfall, an dem sie gerade arbeiten, hinaus. Das ist auch gut so, denn so lobenswert Seghers' Ausflug in die Abgründe der deutschen Vergangenheit ist, ein wenig bekannt (und in gewisser Weise auch klischeebeladen) kommt einem die Geschichte des zu Kriegsende seine Identität wechselnden, skrupellosen SS-Arztes dann doch vor.

Seine besten Seiten hat das Buch am Anfang, wenn es dem alten Georg Hofmann durch Paris folgt und ihn plötzlich mit seiner Kindheit konfrontiert. Nicht ganz so gelungen und nach all dem zwischenzeitlichen Tappen im Dunklen allzu schnell herbeifabuliert ist der Schluss. Skurril die neue Chefin Marthalers, taff und jung und aus dem Osten, während ihr abgesägter Vorgänger, der den Kriminalisten in den beiden ersten Bänden das Leben schwer gemacht hat, nun als Stadtstreicher ohne festen Wohnsitz unterwegs ist.

Für einen vierten Teil hat der vorsorgliche Autor ürigens schon mehr als genug potenziellen Konfliktstoff angehäuft. Marthalers Lebensgefährtin, Tereza, ist schwanger, die Vaterrolle dürfte dem verbissen sich in seine Fälle versenkenden Kriminalisten einiges mehr an Nerven kosten als die Euphorie der Vorfreude dies vermuten lässt. Zudem drohen dem Pärchen erotische Verwicklungen. Oder sollten der Flirt des Hauptkommissars mit einer gar nicht abgeneigten jungen Sanitäterin und das Wiedersehen Terezas mit ihrem einst umschwärmten Studienfreund tatsächlich nur folgenlose Nebenbaustellen sein? Der Autor wird es uns verraten. Was wir uns aber innigst wünschen, ist ein bisschen mehr Glück für die sympathische Ermittlerin Kerstin Henschel. Sie hat es sich nach drei Bänden voll mit Schicksalsschlägen endlich auch einmal verdient!

Dietmar Jacobsen

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Buchcover: © Wunderlich Verlag (Rowohlt), Reinbek





Das Buch

Jan Seghers:
Partitur des Todes.
Roman.
Reinbek: Wunderlich Verlag 2008.
ISBN 978-3-8052-0839-0
476 Seiten - EURO 19,90

Zum Autor
Jan Seghers (d.i. Matthias Altenburg), geboren 1958 in Fulda, studierte Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Schriftsteller, Kritiker und Essayist, lebt in Frankfurt am Main. 1998 wurde er mit dem Marburger Literaturpreis ausgezeichnet, 2008 mit dem Burgdorfer Krimipreis.

Links zum Autor
Kleines Porträt bei "Krimi-Couch"
Matthias Altenburg bei "Wikipedia"
Eintrag im Krimilexikon

Der Rezensent
Dietmar Jacobsen, geboren 1953, Dr. phil., Literaturkritiker, Lektor, Korrektor, Dozent. Lebt und arbeitet in Erfurt.
Zur Website von Dietmar Jacobson

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