Heinrich
Mann (1871 - 1950)
Ein Porträt von Stefan Ringel
Geboren am
27. März 1871 in Lüeck, gestorben am 12. März 1950 in
Santa Monica (Kalifornien/USA)
Am 27. M�rz
1871 wurde dem jungen wilhelminischen Kaiserreich - es war etwas mehr
als zwei Monate zuvor proklamiert worden - ein neuer Untertan geboren.
Luis Heinrich Mann war ein weiches Kind, das am liebsten tr�umte und viel
an Nasen und Ohren litt. Seine Lieblingsbesch�ftigung war das Lesen, seine
Lieblingsautoren die deutschen Romantiker. Mit ihren M�rchen in der Hand
zog es sich gerne in einsame Winkel des gro�m�tterlichen Gartens zur�ck,
wo ihm dann die M�rchengestalten als spukhafte Gespenster erschienen.
Die Parallelen zwischen dem Spross einer Kaufmannsfamilie aus L�beck und
der Titelgestalt aus seinem ber�hmtesten Roman, dem Papierfabrikanten
und treudeutschen Gesinnungshelden Diederich He�ling aus "Der Untertan",
lie�e sich durchaus noch etwas weiter treiben, der Erkenntniswert bliebe
jedoch zweifelhaft.
In vielen
Romanen spielt Heinrich Mann mit den Eckpunkten der eigenen Biographie,
aber auch mit biographischen Elementen aus den Lebensl�ufen von Verwandten
und Bekannten. Doch bleibt dies eben immer nur Spiel: auf dem schmalen
Grat zwischen Fiktion und Realit�t, zwischen Kunst und Leben, balanciert
er allerdings sein Leben lang. Auf den ersten Blick scheint dies ein Widerspruch,
erinnert man sich Heinrich Manns doch in erster Linie als Satiriker, der
erbarmungslos die gesellschaftlichen Missst�nde des Kaiserreichs anprangerte,
erinnert man sich seiner als politischer Intellektueller, der energisch
die Einheit von Geist und Tat, von Kunst und Realit�t also, einforderte.
Tats�chlich tritt hier ein lebenslanges Problem in Leben und Werk Heinrich
Manns zu Tage. Diese Problematik l�sst sich in drei Problemkreise untergliedern:
das Dilemma der Tat, das Dilemma der Erziehung und schlie�lich eben das
Dilemma von Kunst und Leben. Alle drei entwickelten sich nur allm�hlich,
haben jedoch ihre Wurzeln schon in fr�hester Zeit.
Herkunft
Die
Abstammung stellte Heinrich Mann zwischen die Kulturen - oder wie er es
selbst in einem seiner Romantitel unter dem Einfluss des rassentheoretischen
Diskurses jener Zeit nannte: er stand "Zwischen den Rassen." Sein
Vater, Thomas Johann Heinrich Mann, entstammte einer l�bischen Kaufmannsfamilie,
die zum Zeitpunkt von Heinrichs Geburt seit etwa 100 Jahren in der Hansestadt
an der Ostsee haupts�chlich Getreidehandel betrieb. In der Person seines
Vaters erreichte die Familie ihr h�chstes Ansehen: er wurde Senator. Die
Mutter Julia war die Tochter eines norddeutschen Plantagenbesitzers in
Brasilien und einer einheimischen Kreolin. Geboren im fernen Brasilien,
von dem sie ihren Kindern oft erz�hlte, hatte sie ihr Vater schon in jungen
Jahren nach Deutschland gebracht. 1869 heiratete sie 18-j�hrig. Aus der
Ehe gingen f�nf Kinder hervor: Heinrich (1871), Thomas (1875), Julia (1877),
Carla (1881) und Viktor (1891). Bereits 1891 starb Heinrich Manns Vater.
Die Mutter �bersiedelte kurze Zeit sp�ter mit den vier j�ngsten Kindern
nach M�nchen.
Literarische
Anfänge
Der Tod des Vaters war f�r Heinrich Mann ein einschneidendes Ereignis.
Stets war n�mlich der Senator den fr�h ge�u�erten Ambitionen seines Sohnes,
Schriftsteller werden zu wollen, entgegengetreten. In einem Kompromiss
hatten sich beide schlie�lich darauf verst�ndigt, dass Heinrich eine Buchh�ndlerlehre
beginnen sollte. Doch die Lehrzeit in Dresden endete rasch, weil Heinrich
nur wenig Interesse an dem Beruf zeigte. Er nutzte die Zeit in Dresden,
um sich mit den zeitgen�ssischen literarischen Str�mungen auseinanderzusetzen
und - wie er seinem Freund Ludwig Ewers in einem Brief gesteht - sich
ins Nachtleben zu st�rzen. Standen die fr�hen literarischen Versuche noch
ganz im Banne dies viel bewunderten Heinrich Heine, so besch�ftigte sich
Heinrich Mann in dieser Zeit ausgiebig mit den Str�mungen des Realismus
(er suchte den Kontakt mit der Zeitschrift "Die Gesellschaft, die
in M�nchen von M. G. Conrad herausgegeben wurde. Tats�chlich erschienen
dort auch einige Gedichte von ihm, wie �berhaupt seine ersten literarischen
Versuche haupts�chlich Gedichte waren), wandte sich anschlie�end dem Naturalismus
zu, ehe er dann unter dem Einfluss von Hermann Bahr die "�berwindung
des Naturalismus" - so der Titel eines Buches von Bahr - vollzog, geriet
kurzzeitig in das Fahrwasser des Symbolismus und landete schlie�lich fasziniert
beim franz�sischen Romancier Paul Bourget, der in seinen Romanen die menschliche
Psyche ausf�hrlich zergliederte.
Enthusiastisch
und ohne erkennbaren eigenen Standpunkt griff Heinrich Mann jede dieser
Str�mungen auf, feierte die akribische naturalistische Beschreibung der
Gegenwart als die angemessene Darstellungsweise f�r die Gegenwart, ehe
ihn der Symbolismus gefangen nahm mit seinen Andeutungen des menschlichen
Innenlebens, das dann bei Paul Bourget exakt wiedergegeben wurde. Gemeinsam
war jedoch allen Str�mungen das Bem�hen um eine exakte Wiedergabe, sei
es des �u�eren oder auch des Inneren.
Beruflich
f�hrte Heinrich Manns Weg von Dresden nach Berlin. Er wurde Volont�r im
Lektorat des S. Fischer Verlags. Doch auch diese T�tigkeit blieb nur Episode.
Wenige Monate nach dem Tod seines Vaters erlitt Heinrich Mann einen Blutsturz.
Er begann eine lange Kur mit Aufenthalten in Wiesbaden, im Schwarzwald,
in der Schweiz und in Italien. Ein Abstecher nach Paris bildete den H�hepunkt
dieser Reisezeit. Es folgte ein kurzer Aufenthalt bei der Mutter und den
Geschwistern in M�rchen, ehe er in den folgenden Jahren Italien zu seinem
Lebensmittelpunkt w�hlte. Unter diesen �u�eren Umst�nden war an eine Umsetzung
der testamentarischen Verf�gung des Vaters, die schriftstellerischen Ambitionen
seines �ltesten Sohnes zu unterbinden und auf eine praktische Ausbildung
zu dr�ngen, unm�glich. Die langwierige Krankheit verhinderte eine R�ckkehr
ins normale Erwerbsleben. Heinrich Mann konnte ohne weitere R�cksichtnahme
seine schriftstellerische Laufbahn in Angriff nehmen.
"In
einer Familie" - der erste Roman
1894
erschien sein erster Roman "In einer Familie". Nach seinen eigenen
Worten war der Erstling noch eine reine Willensleistung gewesen. Die innere
Reife habe ebenso gefehlt wie das technische K�nnen; lediglich der Entschluss
zu schreiben, sei da gewesen. Gewidmet hat Heinrich Mann seinen Roman
dem bewunderten Vorbild Paul Bourget. Demgem�� ist der Roman auch �berwiegend
eine Besch�ftigung mit dem Innenleben seiner Figuren: minuti�s werden
deren Reflexionen wiedergegeben und ihre Antriebe seziert und analysiert.
Im Mittelpunkt steht dabei die haltlose Figur des Erich Wellkamp. Der
wohlhabende Mann l�sst sich ohne eigene Ziele und Antriebe durchs Leben
treiben. Unzufrieden mit dieser Existenzweise, gleichwohl jedoch au�er
Stande sie aus sich selbst heraus zu �berwinden, sucht er Zuflucht und
Halt in der Ehe mit der jungen Anna von Grubeck, die trotz ihrer Jugend
als gereifte, verst�ndnisvolle, Vernunft begabte und emotional beherrschte
Frau geschildert wird. Er folgt ihr in ihre Heimatstadt und trifft dort
auf Annas Stiefmutter Dora. �hnlich haltlos und ohnm�chtig ihren Trieben
und W�nschen ausgeliefert wie Wellkamp verfallen beide einander. Das Verh�ltnis
droht die Ehe zu zerst�ren, doch Anna rettet Erich durch ihr Verst�ndnis
und ihren Gro�mut. Dora ist verzweifelt und will ihren Geliebten t�ten.
Doch die Tat misslingt: in dem Augenblick, als sie die Pistole abdr�cken
will, erleidet sie einen t�dlichen Herzinfarkt.
Krise
der Moderne - Krise des Ich
Das
Thema der Haltlosigkeit kehrt in zahlreichen Novellen Heinrich Manns aus
jener Zeit wieder. Er greift damit ein Motiv der D�cadence auf, das auch
der eigenen Lebenshaltung entspricht. Seine Nietzsche-Lekt�re hatte ihn
von der Wertlosigkeit der traditionellen Normen �berzeugt. Doch Nietzsches
Ausweg aus diesem Dilemma, der Lehre vom �bermenschen, wollte Heinrich
Mann nicht recht folgen. Er erblickte darin etwas �berzeichnetes, K�nstliches:
die Rede vom �bermenschen wirkte auf ihn wie die Sehnsucht des Kranken
nach gesunder Normalit�t. Seine Skepsis umfasste auch Nietzsches �bermensch.
Auch die Rettung Wellkamps durch die Ehe zeigt Spuren eines k�nstlichen
Paradieses. Briefzeugnisse aus dieser Zeit lassen ebenso wie die �berzeichnete
Charakteristik Annas die Fiktionalit�t dieses Entwurfs erkennen: Heinrich
Mann wusste um die K�nstlichkeit dieser L�sung. Derartiges lie� sich im
Roman konzipieren, hatte aber nichts mit der Realit�t zu tun. Kunst und
Leben traten unaufl�slich auseinander. Allen L�sungen, wie sie die Kunst
anbot, mussten daher mit der n�tigen Skepsis betrachtet werden. Die Kunst
wurde unter diesen Umst�nden jedoch auch zur Zuflucht, weil sie in ihren
Welten gew�hrte, was die Wirklichkeit nicht geben konnte. Hatte sich Heinrich
Mann in Kindertagen in die Traumwelten der M�rchen begeben, so suchte
er nun sein Heil in den selbstgeschaffenen Paradiesen der Kunst.
Unter diesen
Voraussetzungen muss auch seine T�tigkeit als leitender Redakteur f�r
die Zeitschrift "Das zwanzigste Jahrhundert" gesehen werden. F�r
ein knappes Jahr �bernimmt Heinrich Mann ab dem April 1895 die redaktionelle
Verantwortung der protestantisch-nationalistischen Zeitschrift, die f�r
eine konstitutionelle Monarchie und eine St�ndegesellschaft eintrat, den
deutschen Imperialismus anpries und schlimmste antisemitische Hetze betrieb.
Heinrich Mann sah in dieser Zeitschrift ein Kunstprodukt, dessen Forderungen
mit der Realit�t nichts zu tun hatten. Die Zeitschrift erschuf gl�ckselige
Welten, die niemals existiert hatten und auch niemals existieren w�rden.
Er glaubte nicht an diese Inhalte, wie er in einem Brief an Ludwig Ewers
zu erkennen gibt, tats�chlich glaube er als treuer Sch�ler Nietzsches
an gar nichts.
"Generalverdacht"
gegen die Kunst
Diese
unverantwortliche Spielerei wird dem �lteren Heinrich Mann selbst ungeheuerlich
erscheinen: ebenso wie seinen ersten Roman "In einer Familie" wird
er sp�ter in autobiographischen �u�erungen und Notizen diese T�tigkeit
verschweigen. Erhalten bleibt ein Generalverdacht gegen die Kunst wegen
ihrer F�higkeit, eine Gelegenheit zur Flucht aus der Realit�t zu schaffen,
wegen ihres Charakters als Gegenentwurf zur Wirklichkeit, als Spiel, das
niemals auf Einl�sung dringen kann und wird. Gleichzeitig gew�hrt ausgerechnet
die Kunst jedoch den Freiraum, den es braucht um Alternativen zur Wirklichkeit
�berhaupt entwickeln zu k�nnen. Kurz: Kunst schafft Freiheit von der Realit�t,
beinhaltet aber auch die Gefahr sich zu sehr von der Realit�t zu l�sen
(zum Verh�ltnis Kunst-Wirklichkeit vgl. Trapp, Frithjof: "Kunst" als Gesellschaftsanalyse
und Gesellschaftskritik bei Heinrich Mann. Berlin 1975).
Die Kunst
in diesem Zwielicht zu sehen, das sind die lebenslangen Fr�chte der Nietzsche-Lekt�re.
Sie dokumentieren sich noch in einem Nietzsche-Aufsatz Heinrich Manns,
der 1939 in der Zeitschrift "Ma� und Wert" erscheinen wird. In den
sp�teren Romanen wird vielfach die politische Utopie jene Rolle einnehmen,
die zuvor die Idylle inne hatte. Heinrich Mann sucht die Utopie, steht
ihr aber auch immer skeptisch gegen�ber, weil er realisiert, dass sie
aus der Kunst geborene Utopie ist, der dadurch trotz ihrer politischen
Absicht auch stets etwas Apolitisches anhaftet (zum Politischen bei Heinrich
Mann vgl. Fest, Joachim: Die unwissenden Magier. �ber Thomas und Heinrich
Mann. Frankfurt am Main 1993). Trotz dieser Skepsis einerseits, beharrt
er andererseits auf der Erf�llung der Utopie, ist immer wieder dazu geneigt,
die Utopie auch gegen den Willen der Menschen notfalls gewaltsam herzustellen.
So erw�chst aus dem Dilemma der Kunst das Dilemma der Erziehung.
Wie soll
man sich gegen�ber Menschen verhalten, die partout ihrer Vernunft nicht
folgen wollen und auch die vern�nftigen utopischen W�nsche ignorieren?
Wie weit ist es erlaubt, diese auch mit Einsatz von Druck und Gewalt erziehen
zu wollen? Seine Forderung, man m�ge Robespierre ein Denkmal errichten,
ist Ausdruck dieses Dilemmas: zwar hat Robespierre Tausende von Menschen
hinrichten lassen, aber hat er damit nicht die Franz�sische Revolution
- und mit ihr verbunden den Fortschritt der Menschheit - gesichert? Heinrich
Mann wei� auf diese Frage keine definitive Antwort; seine Versuche diesbez�glich
sind eher situativ, abh�ngig von der bedr�ckenden Lage, in der er die
Menschen zu sehen glaubt.
Gesellschaftskritik:
"Im Schlaraffenland"
In
seinem Roman "Im Schlaraffenland" deutet sich der Wandel des Heinrich
Mann vom Anh�nger der apolitischen Idylle zum politischen Utopisten an.
Erschienen 1900, beschreibt der Roman den gesellschaftlichen Aufstieg
eines durchaus begabten Schriftstellers. Allerdings beginnt die Karriere
des Andreas Zumsee erst, als sein eigentliches Talent entdeckt wird: sein
gl�ckliches Naturell, das ihn pr�destiniert, den Liebhaber der Frau des
reichen B�rsenspekulanten T�rkheimers zu geben. Unter ihren Fittichen
schwimmt er mit l�ppischen literarischen Produktionen auf einer Woge des
Erfolgs. Er lebt und profitiert wie alle Bewohner des "Schlaraffenlands"
vom Reichtum T�rkheimers, der zum Erhalt seiner gesellschaftlichen Stellung
immer nur materielle Werte ins "Schlaraffenland", dem System T�rkheimer,
hineinpumpt. Zumsees Rebellion gegen T�rkheimer, mit der er seine Selbstst�ndigkeit
dokumentieren will, und sein Versuch auf eigene Rechnung reich zu werden,
besiegeln seinen Niedergang. Der satirische Roman endet noch nicht mit
einer politischen Utopie, sondern schildert auf den Schlussseiten die
Wiederherstellung des gl�nzenden Lebens der Bewohner des "Schlaraffenlands",
zu denen Zumsee nun nicht mehr geh�rt. Doch mit seiner Hinwendung zu gesellschaftskritischen
Themen und zur satirischen Schreibweise markiert der Roman einen wichtigen
Einschnitt (die wichtige Rolle des Satirischen im Werk Heinrich Manns
betont Stein, Peter: Heinrich Mann. Stuttgart/Weimar 2002 [= Sammlung
Metzler 340]; eine Theorie des Satirischen auf der Grundlage unter anderem
dieses Romans entwickelt Siebert, Ralf: Heinrich Mann. Im Schlaraffenland,
Professor Unrat, Der Untertan. Studien zur Theorie des Satirischen und
zur satirischen Kommunikation im 20. Jahrhundert. Siegen 1999).
Idee des
Übermenschen: "Die Göttinnen"
Heinrich Mann folgt jedoch mit seinem n�chsten Roman nicht dem eingeschlagenen
Weg, sondern experimentiert weiter, indem er das Menschenbild aus "Im
Schlaraffenland" aufgreift und unter neuen Voraussetzungen weiter entwickelt.
Die Figuren dort waren n�mlich immer noch haltlose Charaktere, denen das
kapitalistische System T�rkheimer die Illusion einer gefestigten Position
im Leben verschaffte. In seinem n�chsten Roman, "Die G�ttinnen",
experimentiert Heinrich Mann mit der Idee eines �bermenschentums � la
Nietzsche, um die Haltlosigkeit des modernen Menschen zu �berwinden. Die
Herzogin von Assy spielt im Laufe dieser Roman-Trilogie verschiedene Rollen:
sie verwandelt sich in die G�ttinnen Diana, Minerva und Venus - so auch
die Titel der einzelnen Teile der Trilogie. Als Diana zettelt sich in
ihrer Heimat eine politische Revolution an, als Minerva wird sie zur Kunstm�zenatin,
als Venus zur antiken Het�re, die gro�z�gig ihre sexuelle Gunst verteilt.
Allen Rollen gemeinsam ist, dass die Herzogin f�r sich eine �berlegene
Position gegen�ber den �brigen Menschen erschafft: sie verschenkt politische
Freiheit, k�nstlerische Freiheit, sexuelle Freiheit. Auf diese Weise entr�ckt
sie sich selbst dem Leben, macht sich unangreifbar und wenn sich eine
Rolle ihrem Ende zuneigt, ergreift sie die n�chste. Auf dieser einsamen
H�he stirbt sie schlie�lich auch, ausgelaugt von ihren sexuellen Abenteuern
als Venus. Sie bereut nichts, leistet keine Generalbeichte, sondern geht
als G�ttin von eigener Gnade dahin.
Vergebliche
"Jagd nach Liebe"
Der n�chste Roman, "Die Jagd nach Liebe", revidiert dieses Experiment
rasch wieder. Die innere Schw�che und die daraus resultierende Haltlosigkeit,
dies scheint Heinrich Mann bewusst zu werden, kann unm�glich durch �u�erliche
Demonstration der St�rke �berwunden werden. Ganz in diesem Sinne muss
man auch die wichtige Novelle "Pippo Spano" aus dieser Zeit lesen.
Demonstrationen der St�rke sind k�nstlich, geh�ren mithin ausschlie�lich
in die Welt der Kunst, vereinbaren niemals Kunst und Leben, wie es eigentlich
notwendig w�re. "Die Jagd nach Liebe" deutet erstmals einen Ausweg
an: Claude Marehn sucht in der Liebe zur Schauspielerin Ute Ende Halt
und Erf�llung. Er finanziert ihre Ausbildung und steht ihr bei ihren k�nstlerischen
Krisen bei. Doch Ute h�lt ihn stets auf geschwisterliche Distanz: sexuelle
Erf�llung findet er bei ihr nicht. Diese sucht und findet der Millionenerbe
Marehn bei anderen Frauen der Gesellschaft, doch befriedigt auch dies
nicht, weil er hier den seelischen Halt vermisst. Somit verfehlt er stets,
was er eigentlich sucht: die Liebe. Auf seiner vergeblichen Jagd danach
st�rzt er sich schlie�lich in eine amour fou mit Utes verhasster Schauspielerkollegin
Gilda Franchini. Ihre Beziehung endet mit beider Tod. Thomas Mann zeigte
sich entsetzt �ber diesen Roman seines Bruders: er las ihn als Pamphlet
f�r reine Sinnlichkeit und Eigennutz in der Liebe. �berhaupt sah sich
Heinrich Mann mit diesem Roman zahlreichen Missverst�ndnissen ausgesetzt.
Deformationen
der Gesellschaft: "Professor Unrat"
Der
deformierende Einfluss der Gesellschaft l�sst keine wahre Liebe zu. Die
zwischenmenschlichen Verh�ltnisse sind diktiert von Fragen der Macht:
wer dominiert wen. Dies gilt auch noch f�r einen der bekanntesten Romane
Heinrich Manns, f�r "Professor Unrat" von 1905. Der Roman bildete
die Vorlage f�r den Film "Der blaue Engel", mit dem die Weltkarriere
von Marlene Dietrich begann; allerdings weicht der Film erheblich von
der Romanvorlage ab. Der sadistische Lehrer Raat und die Tingeltangel-S�ngerin
Rosa Fr�hlich lieben sich wirklich, so weit dies unter den deformierenden
Bedingungen der Gesellschaft �berhaupt m�glich ist. Daf�r wird Raat aus
der Gesellschaft ausgesto�en. Er r�cht sich, indem er sein Wissen �ber
die Gesellschaft und ihre Funktionsweise gegen sie wendet. Er er�ffnet
mit seiner Ehefrau ein fragw�rdiges Etablissement vor der Stadt, in dem
Gl�cks- und Liebesspiele betrieben werden k�nnen. Die vornehmen B�rger
der Stadt f�hlen sich unaufhaltsam angezogen. Raat nutzt die Doppelmoral
der Gesellschaft. Viele ruinieren bei ihm ihren Ruf und ihre Finanzen
und verfallen der gesellschaftlichen �chtung, ehe schlie�lich ein ehemaliger
Sch�ler, ein Au�enseiter der Gesellschaft, seinen Untergang herbeif�hrt.
Liebe
und politische Utopie: "Zwischen den Rassen"
Zwei Jahre sp�ter greift der Roman "Zwischen den Rassen" erneut das
Thema der Liebe auf. Lola muss sich zwischen zwei M�nnern entscheiden,
dem italienischen Grafen Pardi, einem skrupellosen Draufg�nger, und dem
zweiflerischen deutschen Intellektuellen Acton. In ihrer Schw�che und
Haltlosigkeit vertraut sie sich Pardi an, wird in ihrer Ehe jedoch ungl�cklich.
Sie sehnt sich zur�ck nach Acton, der schlie�lich in Italien auftaucht
und der Vertraute ihrer Seele wird. Allm�hlich l�st sich Lola geistig
aus den F�ngen ihres Ehemanns, gewinnt in der heranreifenden Liebe zu
Acton an Selbstvertrauen, ebenso wie Acton, der schlie�lich, gest�rkt
durch ihre Liebe, zur Tat gelangt und Pardi zum Duell fordert. Damit endet
der Roman, der Ausgang bleibt offen. Doch immer st�rker zeigt es sich,
dass die Liebe, das intime Verh�ltnis zwischen zwei Menschen, zum Halt
werden kann f�r den Menschen. Aus ihr heraus findet er Selbstvertrauen
und St�rke. Er befreit sich durch die Liebe von seinen �ngsten und gewinnt
Vertrauen in die Zukunft. Dadurch wird politische Utopie, die auf die
Zukunft vertraut, �berhaupt erst m�glich. In der Liebe sind zudem alle
gleich und, weil jeder potentieller Liebespartner des anderen sein k�nnte,
verbindet ein enges Gemeinschaftsgef�hl alle miteinander. Freiheit, Gleichheit
und Br�derlichkeit - die Ideale der Franz�sischen Revolution - erwachsen
somit aus der Liebe.
Wunsch
nach exklusiver Liebe: "Die kleine Stadt"
Diesen
Zusammenhang, der auch schon in "Zwischen den Rassen" hergestellt
wird, arbeitet vor allem der 1909 publizierte Roman "Die kleine Stadt"
heraus. Eine kleine italienische Provinzstadt engagiert f�r die Sommermonate
eine Operntruppe. Der Aufenthalt der Schauspieler f�hrt rasch zu zahlreichen
Liebeswirrungen und -irrungen. Um den �rtlichen Pfarrer schart sich schon
bald eine Gruppe von B�rgern, die den Sittenverfall beklagen und die Schauspieler
vertreiben wollen. Ihnen tritt die Fortschrittspartei um den Advokaten
Belotti entgegen. Aus den H�ndeln und Streitigkeiten geht die Gemeinschaft
der B�rger schlie�lich erneuert und gest�rkt hervor. Am Ende wird die
Theatertruppe mit einem kleinen Fest verabschiedet, doch am Rande des
Festes kommt es auch zu einem Liebestod: der Tenor Nello Gennari wird
von seiner Geliebten Alba erstochen, anschlie�end begeht sie Selbstmord.
Beide wollten gemeinsam fl�chten: sie wollten dem Leben entgehen, wollten
sich nur f�r sich haben. Dieser Wunsch auf exklusiver Liebe kann das Leben
nicht gew�hren, dies sp�rt Alba, und begeht daraufhin ihre Verzweiflungstat.
Der Weltkrieg
Im
ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat Heinrich Mann alle zwei Jahre
einen neuen Roman ver�ffentlicht, zahlreiche Novellen sind entstanden
und viele Essays. Er hat den Schritt vollzogen vom Nihilismus �ber den
�sthetizismus zum Aktivismus (vgl. Werner, Renate: Skeptizismus, �sthetizismus,
Aktivismus. Der fr�he Heinrich Mann. D�sseldorf 1972). Er bekennt sich
nunmehr offen zu den Idealen der Franz�sischen Revolution, zur Aufkl�rung
und zu Frankreich, als dem europ�ischen Land, das diese Ideale verk�rpere.
Dies bringt ihn in einen Gegensatz zu seinem Geburtsland Deutschland.
Seine Kritik an den deutschen Verh�ltnissen will er in einem neuen Roman
zu Papier bringen, f�r den er seit 1906 Eindr�cke und Material sammelt.
Seit Januar 1914 erscheint dann "Der Untertan" in Fortsetzungen in
der Zeitschrift "Zeit im Bild". Doch der Ausbruch des 1. Weltkriegs
stoppt die Ver�ffentlichung des satirischen Romans. Erst nach dem Krieg
kann "Der Untertan" in Buchform erscheinen. F�r Heinrich Mann gibt
es keinen Zweifel an der Kriegsschuld Deutschlands: die herrschende Klasse
in Deutschland brauchte Erfolge. Da man dem Volk politische Rechte verweigerte,
musste man die Unzufriedenheit der Masse mit materiellen G�tern bes�nftigen.
Doch die Anspr�che stiegen stetig, immer neue Reicht�mer mussten in das
System gepumpt werden, um es aufrecht zu erhalten. Schlie�lich half nur
noch das Versprechen des totalen Erfolgs, des totalen Siegs, um die allgemeine
Unzufriedenheit zu kompensieren. Der Weltkrieg war die ultimative Kraftanstrengung
eines politischen Systems kurz vor seinem Zusammenbruch; doch konnte selbst
diese Kraftanstrengung den Zusammenbruch bestenfalls aufhalten, aber niemals
verhindern. Die Niederlage im 1. Weltkrieg war unvermeidlich.
Die Kaiserreich-Trilogie
Noch w�hrend des Kriegs vollendet Heinrich Mann den zweiten Teil der so
genannten Kaiserreich-Trilogie, den Roman "Die Armen". In "Der
Untertan" ist Diederich He�ling noch ein mittelst�ndischer Unternehmer,
im zweiten Teil der Trilogie ist er zum Leiter eines gro�en Unternehmens
aufgestiegen, der r�cksichtslos seinen pers�nlichen Vorteil und seinen
Besitz verteidigt, herausgefordert von einem Arbeiter, dessen Onkel Mitbegr�nder
des Unternehmens war, jedoch um seinen Anteil gebracht wurde. Verlockt
von der Aussicht auf Macht und Besitz ger�t der junge Arbeiter in immer
gr��ere Distanz zu seiner eigenen Klasse. Aber auch der geistige Erziehungsprozess,
den er durchl�uft, der Kontakt mit dem Geist, entfremdet ihn seinem fr�heren
Milieu. Im jungen Arbeiter reflektiert Heinrich Mann den Einfluss des
Geists und den Einfluss von Macht und Besitz auf die individuelle Entwicklung
eines Menschen, durchaus mit kritischen Implikationen gegen�ber seinem
eigenen Konzept der Einheit von Geist und Tat.
Mit dem Roman
"Der Kopf" beschlie�t Heinrich Mann erst 1926 die Trilogie. Jahrelang
hat er f�r diesen Roman Material �ber die f�hrenden K�pfe und Intellektuellen
des Kaiserreichs recherchiert und gesammelt. Die lange Entstehungszeit
erkl�rt sich au�erdem mit der Verlagerung von Heinrich Manns T�tigkeit
auf das essayistische Feld. Mit Hilfe seiner Essays hofft er die Weimarer
Republik unterst�tzen und an ihrer Weiterentwicklung mitwirken zu k�nnen.
Dabei stie� er auf Probleme, die ihn fr�her bereits besch�ftigt hatten:
wer in einer unvollkommenen Welt f�r die gute Sache handeln will, muss
gezwungenerma�en seine Mittel den Gegebenheiten anpassen.
"Dilemma
der Tat"
Dieses
'Dilemma der Tat' war bereits Gegenstand des Theaterst�cks "Madame
Legros", das w�hrend des Kriegs auf die B�hne kam. Madame Legros will
einen unschuldig Inhaftierten aus der Bastille retten. Zu diesem Zweck
sucht sie Kontakt zu politisch einflussreichen Kreisen bis hinauf zur
K�nigin. Aber um ihr Ziel zu erreichen, muss sie l�gen und intrigieren.
Sie nimmt dies auf sich, weil sie diese Mittel durch den guten Zweck gerechtfertigt
sieht. Doch wo ist hier die Grenze? Welche Anpassungen an die bestehenden
Verh�ltnisse sind erlaubt, um f�r den Geist erfolgreich t�tig zu werden?
Das Dilemma der Tat h�ngt eng zusammen mit dem bereits beschriebenen Dilemma
der Erziehung. Darf der f�r den Geist T�tige auch zu gewaltsamen Mitteln
greifen, um ignorante Personen zur Vernunft zu bringen? Ist eine Diktatur
der Vernunft statthaft? Diese Fragen versch�rfen sich noch in der Zeit
der Weimarer Republik. Der allm�hliche Aufstieg der Rechten, gipfelnd
in der Machtergreifung Hitlers waren Ereignisse, die wider alle Vernunft
gingen.
Heinrich
Manns Engagement f�r Demokratie und Menschenrechte schien angesichts dieser
Entwicklung ins Leere zu laufen. Seine ganze Kraft hatte er dieser Aufgabe
gewidmet: 1928 war er von M�nchen nach Berlin �bersiedelt, um auf diese
Weise gr��eres Gewicht in der Sektion Dichtkunst der Preu�ischen Akademie
der K�nste zu gewinnen. Seine erste Ehe mit der Prager Schauspielerin
Maria Kanov� ging dar�ber vollends in die Br�che. 1931 wurde er schlie�lich
Pr�sident der Sektion Dichtkunst. Bereits zuvor trat er als Redner vor
Parteiversammlungen auf, er gab Lesungen in Clubs und Kaufh�usern, er
ver�ffentlichte Aufs�tze in Zeitungen und Zeitschriften, konzipierte gemeinsam
mit Alfred D�blin im Auftrag der Sektion Dichtkunst ein neues Lesebuch,
nutzte seine Stellung in der Preu�ischen Akademie f�r Kontakte zu einflussreichen
Politikern, warb auf Auslandsreisen f�r Verst�ndnis f�r Deutschland und
das deutsche Volk - alle Bem�hungen schienen umsonst.
Die vier
Romane der Weimarer Republik - der 1926 erschienene "Der Kopf" geh�rt
wegen seiner Thematik noch ins Kaiserreich - blieben hinter den Erwartungen
zur�ck. "Mutter Marie", "Eug�nie oder die B�rgerzeit", "Die
gro�e Sache" und "Ein ernstes Leben" konnten qualitativ nicht an
die Werke fr�herer Tage anschlie�en. Mit Ausnahme von "Eug�nie oder
die B�rgerzeit" erprobte er in ihnen neue Themen und Schreibweisen, die
seiner Ansicht nach der Gegenwart besser entsprachen und vor allem ein
gr��eres Lesepublikum anlocken sollten. Dabei orientierte er sich stark
an Film und Trivialliteratur. Resigniert erlebte er schlie�lich den Untergang
der Weimarer Republik; zwei Wochen nach der Machtergreifung Hitlers wurde
Heinrich Mann als Pr�sident der Sektion Dichtkunst der Preu�ischen Akademie
der K�nste abgesetzt. Am 22. Februar 1933 verlie� er Deutschland und ging
ins Exil nach Frankreich. (zu Heinrich Mann und der Weimarer Republik
vgl. Berle, Waltraud: Heinrich Mann und die Weimarer Republik. Zur Entwicklung
eines politischen Schriftstellers in Deutschland. Bonn 1983)
Exil
Der Schritt ins Exil war f�r Heinrich Mann weniger einschneidend als f�r
andere deutsche Emigranten. Lange hatte er bis 1914 im Ausland gelebt,
er sprach perfekt italienisch und franz�sisch und Frankreich war ihm dar�ber
hinaus stets geistige Heimat gewesen - nach dem Untergang der deutschen
Republik mehr als je zuvor. Von Frankreich aus wollte er nun wirken, gegen
den Spuk der Nazi-Herrschaft agitieren. Der �berwiegende Teil der Exilanten
war �berzeugt, dass die Herrschaft Hitlers nicht lange w�hren w�rde. In
den Augen Heinrich Manns war er ein Agent des Gro�kapitals: mit seiner
Hilfe h�tten die gro�en Konzerne ihre Macht erhalten wollen, die durch
die demokratischen Entwicklungen bedroht gewesen sei. Heinrich Mann hoffte
auf einen Aufstand der Arbeiter, die ihre verlorenen Rechte zur�ckgewinnen
wollten. Gegen�ber seinem Neffen Golo soll Heinrich Mann einmal gesagt
haben, dass die zw�lf Jahre der Weimarer Republik die gl�cklichsten in
der deutschen Geschichte gewesen seien, eine Wertung, der sich der Historiker
Golo Mann angesichts der Massenarbeitslosigkeit und der Verelendung der
Mittelschicht nicht anschlie�en konnte.
Die
verschiedenen Auffassungen sind jedoch leicht zu erkl�ren: der aufkl�rerische
Idealist Heinrich Mann sieht nur die positiven Perspektiven und Entwicklungsm�glichkeiten,
Golo Mann beurteilt die realen Verh�ltnisse aus pragmatischer Sicht. Der
Utopist steht dem Realisten gegen�ber. Heinrich Mann engagiert sich im
Exil in zahlreichen Organisationen: er ist Ehrenpr�sident des Schutzverbandes
deutscher Schriftsteller (SDS), Leiter der Deutschen Freiheitsbibliothek
und Pr�sident des deutschen Exil-PEN. Herausragende Bedeutung gewinnt
er in seiner Funktion als Vorsitzender des so genannten Lutetia-Kreises.
Der Lutetia-Kreis bem�ht sich um einen Zusammenschluss aller antifaschistischen
Kr�fte, von b�rgerlichen bis zu kommunistischen Kreisen, zu einer so genannten
Volksfront. Nur m�hsam kann Heinrich Mann das fragile Gebilde aus unterschiedlichen
Kr�ften und Interessen zusammenhalten. Nachdem Walter Ulbricht die F�hrung
der kommunistischen Gruppe von Willi M�nzenberg �bernommen hat, wird das
Dr�ngen der Kommunisten nach Kontrolle �ber den Lutetia-Kreises immer
st�rker sp�rbar. Viele b�rgerliche Antifaschisten verlassen die Vereinigung.
Der Hitler-Stalin-Pakt ist letztlich nur noch �u�erlich der Schlusspunkt
unter Heinrich Manns Bem�hungen.
Neben diesen
offiziellen und politischen Bet�tigungsfeldern widmet sich Heinrich Mann
auch publizistischer und schriftstellerischer Arbeit. Er ver�ffentlicht
Aufs�tze und Aufrufe in deutschsprachigen Exilzeitungen und -zeitschriften
sowie in franz�sischsprachigen Bl�ttern und vollendete seinen zweib�ndigen
Roman "Jugend und Vollendung des K�nigs Henri Quatre". Der "Henri
Quatre" ist ein grandioser H�hepunkt im Werk des politischen Schriftstellers
Heinrich Mann. In der historischen Gestalt des franz�sischen K�nigs Heinrich
IV. feiert er eine Pers�nlichkeit, die Geist und Tat zu verbinden wusste
zum Wohle seines Volkes. Gleichzeitig besitzt der Roman zahlreiche parabelhafte
Z�ge; er spiegelt aktuelle Geschehnisse in historischem Gewand.
Flucht
in die USA
Die
Eroberung Frankreichs durch deutsche Truppen n�tigte den bald 70-j�hrigen
1940 zu Fu� �ber die Pyren�en nach Spanien zu fliehen, dann weiter nach
Lissabon und von dort mit dem Schiff in die USA. Organisiert hatte die
Flucht eine US-amerikanische Hilfsorganisation. Zu der Fluchtgruppe geh�rte
neben Heinrich Mann seine zweite Frau Nelly, die er noch vor seinem Exil
in Berlin kennen gelernt hatte und die ihm ins Exil gefolgt war, sein
Neffe Golo sowie Franz Werfel und seine Frau Alma. In den USA angekommen,
erwartete Heinrich ein Einjahres-Vertrag beim Filmstudio Warner Brothers
in Hollywood, eine Hilfsaktion f�r europ�ische Emigranten. Nach diesem
Jahr war Heinrich Mann arbeitslos. Erschwerend kam hinzu, dass er in den
USA als Schriftsteller nahezu unbekannt war. So war er nahezu g�nzlich
von den finanziellen Zuwendungen seines Bruders Thomas abh�ngig. W�hrend
des Exils entstanden nochmals zahlreiche Werke: die Lebenserinnerungen
"Ein Zeitalter wird besichtigt", die Romane "Lidice", "Empfang
bei der Welt" und "Der Atem" sowie das Fragment "Die traurige
Geschichte von Friedrich dem Gro�en".
"Greisen-Avantgardismus"
Losgel�st von jeglichem Kalk�l auf die Wirkung beim Publikum erprobte
Heinrich Mann in seinem Sp�twerk neue Schreibweisen, sein Bruder Thomas
sprach gar von einem "Greisen-Avantgardismus". Insbesondere seine
Groteske �ber die Zerst�rung der tschechischen Ortschaft Lidice und die
Ermordung und Verschleppung ihrer Einwohner wurde wegen ihres verzerrenden
Umgangs mit den historischen Fakten mit Befremden gelesen. Die groteske
Komik, mit der die Gr�uel behandelt wurden, empfanden viele Leser als
unangemessen. In "Empfang bei der Welt" setzt er seine ganze Hoffnung
in ein junges Liebespaar, das unber�hrt ist von der Gier nach Reichtum
der Elterngeneration. W�hrend diese in immer neuen Anl�ufen dem gro�en
Reichtum hinterherjagen, verschenken die beiden am Ende des Romans ein
Millionenerbe des Gro�vaters, was ganz in dessen Sinne ist.
Utopie
als unbestimmte Hoffnung der Menschheit
Mit diesem Romanschluss gestaltet Heinrich Mann noch einmal eine politische
Utopie von einer besseren Welt, eine Utopie, die er in seinem Roman "Der
Atem" mit einem Leben in der UdSSR gleichsetzt. Der Kommunismus habe die
letzte Barriere f�r die Gleichheit zwischen den Menschen beseitigt: den
Besitz. Damit habe die russische Oktober-Revolution jene Serie von gro�en
europ�ischen Revolutionen vollendet, welche die Befreiung des menschlichen
Geists zum Ziel hatte. Der Verzicht auf materiellen Besitz befreit den
Menschen endg�ltig f�r den Erwerb geistiger G�ter. Nachdem in "Der
Atem" an einer alten Frau adliger Herkunft noch einmal ihr fr�heres Leben
an der C�te d'Azur gespensterhaft vorbeigezogen ist, nachdem sie viele
Situationen fr�herer Tage noch einmal er- und durchlebt hat, stirbt sie
am Ende des Romans. Ihre Freunde fl�chten aus einer untergehenden Welt
in eine utopische: in die UdSSR. Mit Befremden erleben viele Interpreten
Heinrich Manns die Aufwertung der UdSSR, die Verherrlichung Stalins als
geistiger Retter und Befreier der Menschheit, insbesondere in "Ein
Zeitalter wird besichtigt." Zweifellos geschieht vieles davon gegen besseres
Wissen: die politische Utopie erweist sich in diesen Augenblicken als
k�nstliches Paradies, dessen Irrealit�t nur in der Kunst unangetastet
bleibt, und das nicht mit der Realit�t vermischt werden darf.
Gleichzeitig
jedoch h�lt Heinrich Mann an der Utopie fest, nicht als eine bestimmte,
sondern als unbestimmte Hoffnung der Menschheit, welche zum Fortschritt
animiert. Dabei wird Fortschritt stets verstanden als Hinwendung zum Geist,
und damit auch zur Kunst mit ihrem gef�hrlichen Doppelcharakter. Das Dilemma
der Kunst entfaltet sich: Heinrich Manns Werk bewegt sich permanent im
Zwielicht zwischen politischer Utopie und Idylle, d.h. paradis artificiel.
Ebensowenig wie er auf die beiden anderen Dilemmata eine Antwort zu finden
wusste, findet er hier eine befriedigende L�sung. Die von ihm vielfach
geforderte Einheit von Geist und Tat wird unter diesen Voraussetzungen
fragw�rdig. Wie kann aus einer solchen diffusen Sachlage heraus politische
Tat erwachsen? Letztlich ist auch die von ihm geforderte Einheit ein Produkt
der Kunst.
Kein Wiedersehen
mit der Heimat
Was
bleibt unter diesen Umst�nden von Heinrich Mann? Entwurzelt lebte er in
seinen letzten Jahren in einem Land, zu dem er nie ein Verh�ltnis fand:
die USA blieben ihm fremd, seine geistige Heimat lag jenseits des Atlantiks.
Dennoch kehrte Heinrich Mann nach 1945 nicht nach Europa zur�ck. Zu vieles
hielt ihn in der neuen Welt. 1944 hatte seine Frau Nelly Selbstmord begangen,
(seine erste Frau Maria hatte die Unterbringung in einem KZ �berlebt,
war aber kurz nach ihrer Befreiung gestorben, die Tochter aus erster Ehe,
Leonie, hatte die Kriegsjahre in Prag �berstanden), die politischen Verh�ltnisse
in Europa h�tten ihn gezwungen, f�r eines der beiden Lager, f�r Ost oder
West, zu optieren, was er unter allen Umst�nden vermeiden wollte. So z�gerte
er auch eine Antwort auf ein Angebot aus der Ostzone immer wieder hinaus:
von dort war der Vorschlag an ihn ergangen, Pr�sident der Akademie der
K�nste zu werden. Ein Umzug nach Ost-Berlin w�re ihm aber vom Westen ver�belt
worden. Noch dazu war jener Walter Ulbricht, der seine Bem�hungen um eine
Volksfront zunichte gemacht hatte, mittlerweile der f�hrende Mann in der
sowjetisch besetzten Zone. Heinrich Mann gab schlie�lich dem Dr�ngen seines
Bruders Thomas nach und stimmte dem Angebot zu. Wenige Tage vor seiner
geplanten Abreise starb er am 12. M�rz 1950 im kalifornischen Santa Monica
an einer Hirnblutung. 1961 wurde seine Asche nach Ost-Berlin �berf�hrt
und auf dem Dorotheenst�dtischen Friedhof beigesetzt.
Der bewusste
Magier
In gewisser Weise blieb sein Leben unvollendet, musste es auch wegen der
ungel�sten Fragen bleiben. Die Antworten haben immer andere gegeben, beispielsweise
die DDR, indem sie ihn als pr�sozialistischen Schriftsteller f�r sich
reklamierte, beispielsweise die bundesrepublikanische �ffentlichkeit,
indem sie sein Werk nur in geringem Ma�e wahrnahm, mit Befremden auf seine
utopischen Anwandlungen reagierte und ihn einen apolitischen Magier nannte.
Doch liegt das Unbestimmte nicht grunds�tzlich im Wesen der Utopie, wandelt
sie nicht stets in jenem diffusen Bereich zwischen Realisierbarkeit und
reinem Wunschdenken? Die Utopie hat nirgends in der Wirklichkeit ihren
Ort, sie ist eher eine regulative Idee, an der sich gegenw�rtiges Handeln
orientieren kann. So gesehen, verr�t das Werk Heinrich Manns sehr viel
�ber den wahren Charakter der Utopie. Heinrich Mann ist kein unwissender
Magier, weil er die Problematik utopischen Denkens sehr wohl kennt, sie
immer wieder reflektiert. Aber das Gegebene - dar�ber kann es f�r ihn
keinen Zweifel geben - schreit nach Ver�nderung im Sinne des Menschlichen.
Heinrich Mann ist ein bewusster Magier, ein autoreflexiver Tr�umer, der
das Wagnis der Utopie im Namen der Menschlichkeit unternommen hat.
Stefan
Ringel
© TourLiteratur
/ Autor
Alle Rechte vorbehalten
(Neufassung September 2003)
Stefan Ringel
ist Autor des Buches
"Heinrich Mann. Ein Leben wird besichtigt." Darmstadt: Primus
Verlag 2000. Als Taschenbuch: Berlin: Aufbau Verlag 2002.
Fotos (von
oben):
1) Heinrich Mann - © Deutsches Historisches Museum Berlin
2) Bild linke Seite: Heinrich (links) und Thomas Mann - © Deutsches
Historisches Museum Berlin
3) Bild rechte Seite: Heinrich (links) und Thomas Mann - © Buddenbrookhaus,
Lüeck
4) Heinrich Mann - Zeichnung von Max Oppenheimer, 1912 - © Akademie
der Künste, Berlin/Heinrich-Mann-Archiv
5) Heinrich Mann - © Deutsches Historisches Museum Berlin
Buchcover (von oben):
1) Heinrich Mann: In einer Familie. Roman. Frankfurt/Main: S. Fischer
Verlag 2000.
2) Heinrich Mann: Die Jugend des Königs Henri Quatre. Roman. Frankfurt/Main:
S. Fischer Verlag 1998.
3) Stefan Ringel: Heinrich Mann. Ein Leben wird besichtigt. Berlin: Aufbau
Verlag (Taschenbuch) 2002.
4) Heinrich Mann: Im Schlaraffenland. Ein Roman unter feinen Leuten. Frankfurt/Main:
Fischer Taschenbuch Verlag 2000.
5) Heinrich Mann: Professor Unrat (Der blaue Engel). Roman. Reinbek: Rowohlt
Taschenbuch 2000.
6) Heinrich Mann: Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Roman.
Reinbek: Rowohlt Taschenbuch 2000.
7) Heinrich Mann: Die kleine Stadt. Roman. Frankfurt/Main: S. Fischer
Verlag 1994.
8) Heinrich Mann: Ein Zeitalter wird besichtigt. Erinnerungen. Frankfurt/Main:
Fischer Taschenbuch Verlag 1988.
Bildmaterial:
Für die Nutzungsgenehmigung danken wir dem Deutschen
Historischen Museum Berlin und dem Buddenbrookhaus
Lüeck.
Weiterführende
Links zu Heinrich Mann
Einige
Sekundärliteratur-Hinweise
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