Rezensionen > Djian, Philippe: Schwarze Tage, weiße Nächte |
"Die
seltsame Schönheit der Pornographie"
Philippe
Djian: Schwarze Tage, weiße Nächte. Roman. Und wieder dieses Gefühl, einem literarischen Taschenspieler aufgesessen zu sein. Wieder dieses Unbehagen angesichts eines Stücks Literatur, von dem man sich nie ganz sicher ist, ob es den Namen 'Literatur' auch tatsächlich verdient. Seit "Betty Blue" (1985) gilt Philippe Djian, Jahrgang 1949, als Enfant Terrible der französischen und europäischen Literaturszene, als rabiat-poetischer Pornograf, als Provokateur mit Kultstatus. Das allein lässt aufhorchen und - macht misstrauisch. Allzu oft schon sind solche hoffnungsschimmernden Sterne nach kurzer Zeit verblasst, vergessen worden, in einer der zahlreichen literarischen Besenkammern verschwunden. Nun ist Djian schon lange im Geschäft und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit, zumindest bei einem Großteil des Lesepublikums. Das kann und soll ihm nicht vorgeworfen werden. Aber: je mehr Djian schreibt, umso öfter wiederholt er sich. Und: umso langweiliger wird er. Immer kreist er um die selben Themen, ohne ihnen irgendwelche neuen Aspekte abgewinnen zu können: die Falschheit des Schriftstellerberufs, die immanente Tragik des Schreibens, die 'rätselhafte Gewalt' des Sex. Eines sei jetzt schon verraten: Der neue Roman ist in jeder Hinsicht misslungen. Das muss so deutlich gesagt werden. Handlungsarmut jedenfalls ist ihm nicht vorzuwerfen, ganz im Gegenteil: Es passiert viel in "Schwarze Tage, weiße Nächte". Der 47-jährige Francis hat schon bessere Tage gesehen: Einst ein gefeierter Autor, ist er nun ins untere Mittelmaß auf der Werte- und Aufmerksamkeitsskala der schreibenden Zunft, der Kritiker und des Publikums abgesunken. Auch der frühere Geldregen ist versiegt und die Steuerbehörde erhebt opulente Ansprüche. Um sich finanziell über Wasser zu halten, vertreibt er Gingko-Tabletten und Enzymkapseln an die gesundheitsfanatisierte Kultur-Schickeria, handelt mit Leibwäsche aus alten Armeebeständen oder repariert zuweilen verstopfte Abflussrohre. Darunter leidet naturgemäß die literarische Arbeit, der neue Roman will und will nicht fertig werden. Zwei Kinder gibt es auch, die Zwillinge Joël und Julien, die in Australien studieren und auf dessen offensichtlich sorglose Existenz in der Ferne Francis immer wieder durch heftige Bewegungen auf seinem Konto aufmerksam gemacht wird. Francis` Debakel hat einen Grund: Edith, seine geliebte Frau, ist tot. Woran sie gestorben ist, erfährt der Leser nicht. Dafür wird ihm sehr schnell klar, dass Francis mit der schmerzlichen Situation nicht mehr zurecht kommt. Er bastelt sich seine eigene Welt, führt imaginäre Dialoge mit Edith, lässt sich von ihren Ratschlägen leiten. Und diese fiktive Edith meint es gut mit ihrem im schnöden Dasein zurückgebliebenen Gatten: Eine schöne und begehrenswerte Frau soll er sich suchen, mit ihr im Bett seinen Spaß haben und mit ihr zu guter Letzt einen Porno drehen. Francis` Sträuben ist auf wenige Sekunden beschränkt und auch das Objekt der Begierde ist schnell gefunden: Nicole, die attraktive Frau des Zunftkollegen und neuen Literaturstars Patrick Vandhoeren. Dieser ist mit allem gesegnet, was das Schriftstellerleben so erstrebenswert macht: Jugend, Erfolg, Reichtum und Frauen. Mit der Zuneigung zur eigenen Gattin nimmt er es allerdings nicht so genau, und so zeigt sich Nicole rasch bereit, sich auf eine Affäre mit Francis einzulassen. Die beiden verbringen Stunden, Tage, Wochen damit, ihre Sexualität bis an die Grenzen des körperlich Machbaren auszuleben. Dabei bleiben anatomische Konstanten ebenso unberücksichtigt wie das Streben nach tieferem Gefühl. Schließlich will Francis seine sexuelle Potenz nicht nur an einem Lustobjekt unter Beweis stellen. So genießt er die erotischen Ausschweifungen mit der äußerst anziehenden Olga Matticcio, einer Schriftsteller-Kollegin, die mit Trivialromanen obszönen Inhalts größte Lesergunst genießt. Unterdessen pflegt Francis intensiv die geistigen Beziehung zum gehörnten Patrick Vandhoeren. Dessen neuer Roman steht kurz vor dem Abschluss und wird bereits als preiswürdiges, grandioses Opus gefeiert. Zuvor geht es auf Promotion-Tour nach Kanada, und Patrick bittet den von ihm wenig geschätzten Francis, ihn zu begleiten. Das hat einen Grund: Patrick schwärmt über die Maßen für die Pop-Ikone Madonna, und Francis hat einen Freund, der ein Treffen mit dem Star arrangieren will. In Toronto angekommen, vergnügen sich die beiden Ecrivains allerdings erst einmal mit drei ebenso jungen wie willigen Japanerinnen, die sie sich aufs Hotelzimmer holen und mit ihnen Dinge erleben, für die selbst Henry Miller oder Charles Bukowski nicht die Worte gefunden hätten, die Djian seinen Lesern zumutet. Anschließend geht für Patrick ein Traum in Erfüllung: er trifft 'seine' Madonna, ist fasziniert von der lasziven Schönheit, wie berauscht von ihrer körperlichen Bereitwilligkeit. Francis jedoch schöpft Verdacht: Warum spricht diese Madonna so ausgezeichnet Französisch? Warum lässt sie sich so selbstverständlich mit einem ihr völlig unbekannten Schriftsteller ein? Ist es tatsächlich Madonna, die so vehement ins Sexualleben Patricks eindringt und auf diese Weise dessen literarische Tätigkeit nahezu lahm legt? Francis findet den Beweis: diese Madonna ist nicht Madonna, kann es nicht sein. Denn: Die richtige hat keinen Leberfleck auf der rechten Hinterbacke, Patricks vollbusiges Imitat allerdings sehr wohl. Wie reagiert der Betroffene auf diese Entdeckung? Er nimmt sie zur Kenntnis, scheinbar ohne innere und äußere Regung, findet sich damit ab und - lässt von der Beziehung zu seinem Illusionsdouble nicht ab. Ganz im Gegenteil: Patrick ist fest entschlossen, das, was 'Madonna' zu bieten hat, weiterhin in vollen Zügen auszukosten. Sehr zum Ärger Francis`. Dieser hat nämlich inzwischen herausbekommen, dass 'Madonna' auf Patrick angesetzt wurde, um diesen zu überreden, seine Romane zukünftig bei einem internationalen Verlagskonsortium herauszubringen. Das Zugpferd soll eingefangen werden, denn es verspricht sagenhaften Gewinn. Der Coup gelingt, Patrick unterschreibt, verlässt seinen angestammten Verlag, brüskiert seinen - und Francis` - Verleger Henri Sigmund. Der ansonsten so rührige Henri Sigmund zeigt sich betroffen. Alles hat er für Patrick getan, dessen Karriere selbstlos gefördert, immer an ihn geglaubt, ihn groß gemacht. Und nun das. Rachegedanken kommen auf und werden prompt in die Realität umgesetzt. Die Auslieferung des neuen Buches wird bewusst verzögert, ja boykottiert, Francis soll eine vernichtende Kritik in einer angesehenen und viel gelesenen Tageszeitung veröffentlichen. Doch Francis will das Spiel nicht mitspielen. Zu sehr fühlt er sich Patrick verbunden, der ihn an seine eigene Sturm-und-Drang-Phase erinnert, der für ihn die Zukunft des Romans verkörpert, jene Zukunft, die er, Francis, der Gattung nicht geben konnte. Patrick ist der Schriftsteller, den Francis "wie einen Messias" erwartet hat, bedeutet doch sein literarischer Sieg, so die küchenpsychologische Selbstdeutung, letztlich die Abschwächung der eigenen literarischen Niederlage. Kurzum: Francis weigert sich, gegen den Freund zu opponieren, riskiert aufgrund seiner mangelnden Kooperationsbereitschaft, literarisch endgültig mundtot gemacht zu werden. Doch darauf legt Francis mittlerweile auch kaum noch Wert. Er ist überzeugt: Alles ist eine unglaubliche, groß angelegte Intrige, die Patrick und ihn, letztlich gar die Literatur selbst zu zerstören trachte. Francis verstrickt sich immer mehr in seine Eigenwelt, in seine Wahn-Vorstellungen einer alles umfassenden, alles verschlingenden Verschwörung dunkler Mächte. Und: er sieht sich ausgeliefert an seine eigene Aggressivität. Besonders schmerzlich muss dies Henri Sigmund erfahren. Dem jagt er - überzeugt davon, Sigmund sei einer der Drahtzieher der Verschwörung - eine Harpune in die Hand. Dass das Verhältnis der beiden danach an Innigkeit verliert, ist nachvollziehbar. Am Ende treffen sich alle Beteiligte auf dem Friedhof. Nicole ist tot, bei einem Gerangel auf dem Bett mit Patrick und Francis hat sich ein Schuss gelöst. Gelöst hat sich auch so manche Verwicklung und diverse Unklarheiten, neue kommen freilich hinzu. Vermeintliche Wahrheiten verabschieden sich, frische Illusionsblasen entstehen und zerplatzen. Selbst der von Francis vergötterte Patrick ist davon nicht ausgenommen: alle pornografischen Passagen in dessen Erfolgsbücher, dies muss der Autor - wenig reumütig - einräumen, stammen aus der Feder Nicoles. Francis schließlich lamentiert über die 'große' Zukunft der Literatur, die garantiert "neue Wege ins Unendliche" eröffnen werde. Die Vision in allen Ehren: "Schwarze Tage, weiße Nächte" leistet dazu keinen nennenswerten Beitrag. Das alles wird in einem rasenden Tempo erzählt - Djian jagt die Sätze vor sich her, so schnell, dass der Sinn des Ganzen oft nicht hinterher kommt. Dabei gibt es auch wirklich witzige, effektvolle Passagen in diesem Buch, etwa wenn der Erzähler glaubhaft versichert, einer Penetration zuliebe auf den versprochenen vierfarbigen Schutzumschlag für seinen Roman zu verzichten - ein Opfer, das nicht nur mittelklassige Autoren zu schätzen wissen. Und es gibt wahrhaft innige Stellen, solche, die für einen kurzen Augenblick jene tiefere Lebenstragik glaubhaft, nachempfindbar machen können, von der Djian eigentlich sprechen will - die Schilderung des Drogentodes der Literaturagentin Suzanne Rotko etwa gehört dazu. Aber das sind die wenigen grünen Stellen inmitten sprachlichen und gehaltlichen Brachlandes. Und bei all dem immer wieder die Frage: Was ist eigentlich das Provozierende an Djians Provokationen? Die unverhohlene Pornografie vielleicht? In der Tat: Die entsprechenden Passagen lassen in ihrer Deutlichkeit keinen Spielraum für Phantasie. Sie beherrschen gut ein Viertel des gesamten Buches, schnelles Auffinden ist garantiert, der geschulte selektive Leser wird sich mit langem Suchen nicht herumärgern müssen. Pornografie als Selbstzweck ist Djian freilich nicht zu unterstellen. Das gilt für alle seine Bücher. Es geht ihm um etwas anderes, nämlich darum, die Verlogenheit des Literaturbetriebs zu entlarven, das Schriftstellerdasein als amputiertes Leben vorzuführen, die Lächerlichkeit des äußeren Scheins hinter der glitzernden Fassade sichtbar zu machen. Das wäre wirklich von Interesse, dem ließe sich etwas abgewinnen. Nur: Djian gelingt es an kaum einer Stelle, die Tragik, die das Thema tatsächlich in sich birgt, glaubhaft zu vermitteln. Dafür fehlen ihm die sprachlichen Mittel, dafür fehlt es ihm an dem, was ihm so gern als Markenzeichen unterstellt wird: an Selbstironie. Was ist das eigentlich Ärgerliche an Djians neuem, viel zu lang geratenem Roman? Dass Plattheiten als tiefe Erkenntnisse verkauft werden. Dass larmoyanter Schwulst ungeniert als stilistische Originalität auftritt. Wohlgemerkt: Es geht nicht um Geschmacksfragen. Das hieße, sich die Sache zu einfach zu machen - wann hätte sich auch jemals Geschmack als literarisches Beurteilungskriterium bewährt? Nein, es geht um die penetrante Aufdringlichkeit, mit der das Buch seinen Lesern Lebensweisheiten aufdrängt, die keine sind. Djian ist ein literarischer Zauberer, dem die Kunststücke fehlen, eine Lichtgestalt, die aus dem Halbdunkel literarischer Belanglosigkeit nicht herausfindet, ein zahnloser Wadenbeißer, der den Gegenstand seines Zorns nie richtig zu fassen bekommt. An einer Stelle im Roman heißt es: "Schriftsteller benutzen die Literatur wie einen Fußtritt in die Eier." Nicht nur zart besaitete Leserinnen und Leser werden lange brauchen, um sich von Djians neuem Tritt "Schwarze Tage, weiße Nächte" zu erholen. Holger Dauer © TourLiteratur
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