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Rezensionen > Meike Hauck: Mad in America

Meike Hauck
Meike Hauck, Jahrgang 1977, studierte nach dem Abitur an der University of Toronto Bühnenbild und absolvierte Praktika in einer Werbeagentur. Anschließend studierte sie in Leipzig Theaterwissenschaft, Soziologie und Journalistik, wechselte dann zum Studium der Theater- und Filmwissenschaft nach Berlin. Von 2000 bis 2004 studierte sie Szenisches Schreiben an der Berliner Hochschule der Künste. Im Juli 2003 war Meike Hauck Teilnehmerin beim 8. Internationalen Festival junger Dramatikerinnen und Dramatiker "World Interplay" an der James Cook University in Townsville (Australien). Im Oktober 2003 wurde sie zu den renommierten Autoren-Werkstatt-Tagen an das Wiener Burgtheater eingeladen. Im gleichen Monat wurde Haucks Stück "Blauer Himmel" im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Eröffnung des Schauspielhauses Bochum aufgeführt; Regie führte Wulf Twiehaus. Im Wintersemester 2004/2005 wird Meike Hauck als Dozentin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Rahmen des Seminars zum Thema "Dramentext und Theaterwirklichkeit" wirken. Das Seminar wird vom Deutschen Literaturfonds e.V. in Zusammenarbeit mit der Mainzer Universität veranstaltet.
Meike Hauck hat bisher die Stücke "Fake" (2000), "Blauer Himmel" (2001, Uraufführung 2002 an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch"), "Hund frisst Gras" (2003/2004) und "Mad in America" (Uraufführung im September 2004 in Mainz) geschrieben. Daneben verfasst sie Filmtreatments.

Spaß haben, aber analog
"Mad in America" - Meike Haucks neues Theaterst�ck

Gibt es ein richtiges Leben im Falschen? Jonathan und Anna S. sind sich nicht sicher. Wie auch? Das Dasein ist viel zu komplex, um noch allgemeing�ltige Wahrheiten zu entdecken. Jonathan und Anna S., das sind die Protagonisten des neuen St�cks von Meike Hauck, ein P�rchen, Mitte zwanzig vielleicht, unterwegs in Amerika - und in den verschlungenen Windungen der eigenen Innenwelt. Dort rumort es kr�ftig. Diagnose: "Akuter Perspektivverlust". Ursache der Desorientierung: Ausufernder Liberalismus. Die Freiheit sitzt den beiden im Nacken, l�sst sie nicht zur Ruhe kommen.

Jonathan und Anna S., das sind die personifizierten Abziehbilder der utopielosen U-30-Generation, barrierefrei aufgewachsen in einer vom Konsum berauschten Spa�gesellschaft, tragikomische Opfer des 'Anything goes', der selbstbestimmtes Leben, Individualit�t propagiert und im Grunde nicht mehr als uniforme Modetrends zu bieten hat. Die Handelskette als (post)moderner Sinnstifter, Erl�s statt Erl�sung, Event statt authentisches Erleben - Damit ist das Spektrum der Befindlichkeiten umschrieben. Und auch wieder nicht. Denn die beiden sind sich nicht im Klaren: "Wollen wir die totale Verwirrung jetzt oder nicht?" Jonathan will den "Durchblick" behalten, will sich positionieren "�ber den Willen". Schopenhauer l�sst gr��en. Ironisch, versteht sich. Und verabschiedet sich gleich wieder: "Du sollst das Chaos genie�en k�nnen", r�t Anna S., scheinbar abgekl�rt. "Bist doch ein moderner Mensch!"

Doch genau da liegt die Crux. Wo sich Alternative an Alternative reiht, wo sich M�glichkeiten unendlich potenzieren, da herrscht permanente Entscheidungslosigkeit, Eskalation des Sinnverlusts, wird Wahrheit nur noch als willk�rlich austauschbares Provisorium erlebt. Die L�sung? "Wir k�nnten uns mal wieder physisch n�her kommen", schl�gt Jonathan unvermittelt vor. Fr�her hie� das mal Liebe. Und heute? "Mal wieder analog Spa� haben". Warum auch nicht? "Wenn's hilft." �bersetzt hei�t das: Radikalverlust zwischenmenschlicher Vibrationen, eine zum Phlegma degradierte Leidenschaft. Innige Momente der Zweisamkeit sehen entschieden anders aus.

Eine andere M�glichkeit: der "Vatermord". Jonathan schl�gt ihn vor, ganz nebenbei. "Oh cool", entgegnet Anna S. ebenso unger�hrt. Auch diese Alternative: ad acta gelegt. Welche V�ter, sprich: Ideologien sollten auch liquidiert werden? Es gibt zu viele davon. Oder gar keine mehr. Man wei� nicht mehr, "wogegen man eigentlich sein soll". Noch so eine tragische Erkenntnis Jonathans. Und doch lotet Anna S. Spielarten des Widerstands aus: Mit einer Steinschleuder ein Loch ins Dach des Reichstags schie�en. Oder effektiver: eine Handgranate werfen. Aber auch das: Alles Kopfgeburten, kraftlose Aufbegehrensgesten eines ausgelaugten Ich.

Und zwischen all dem schimmert sie immer wieder durch: die Sehnsucht nach sicherer Verortung, nach dem "eigenen" Weg, der aus der Fremdbestimmung herausf�hrt. Wenn es doch so etwas wie ein "Normalma� von Freiheit" g�be, ein ausgewogenes Verh�ltnis von Abenteuer und Sicherheit, ein "Kick mit Netz". Doch der ist nicht zu haben. Es bleiben: Halluzinationen einer besseren Welt, in der man sich "ohne R�cksicht auf Verluste mit der Gl�cksbefriedigung abfinden" muss. Immerhin.

Sprachlich bewegt sich das alles zwischen obsz�nem Brutaljargon und soziologischer Feinschliff-Rhetorik, humoreske Einsch�be inbegriffen. Meike Hauck spart nichts aus und erspart dem Zuschauer nichts. Die junge Autorin, Jahrgang 1977, ist in der deutschen B�hnenlandschaft keine Unbekannte mehr. Sie ist Absolventin des Studiengangs Szenisches Schreiben an der Universit�t der K�nste in Berlin, jener hoch gelobten Talentschmiede, aus der so hoffnungsvolle Nachwuchsdramatiker wie Marius von Mayenburg, Bernhard Studlar, Dea Loher und Rebekka Kricheldorf hervorgegangen sind. "Mad in America" ist ihr viertes B�hnenst�ck. Die Urauff�hrung fand am 16. September 2004 in der Mainzer Studiobühne "TiC" statt, Regie f�hrte Wulf Twiehaus.

Holger Dauer

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Eine gekürzte Fassung des Artikels ist zuerst unter dem Titel "Liebe, Spaß und der Fluch der Freiheit" in der "Allgemeinen Zeitung", Mainz (Theaterbeilage zur Saison 2004/2005) erschienen.

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