Rezensionen > Herrmann, Elisabeth: Das Kindermädchen |
Die
Spur führt in die Ukraine
Elisabeth
Herrmann: Das Kindermädchen. Roman.
Aber Herrmann will mehr, sie will herausragende Kriminalliteratur schreiben, was sich im ersten Moment wie ein Paradox anhört, doch inzwischen beileibe keines mehr zu sein braucht, denn auch viele deutsche Krimis lassen sich heute nicht mehr so leicht seichter Unterhaltungsliteratur zuordnen. Deshalb macht das Buch der 1959 Geborenen nach den ersten Seiten, die seine historische Dimension abstecken, schnell einen halben Jahrhundertschritt und landet mitten unter uns. Nur eines kleinen, lakonischen Satzes bedarf es, damit alle Bescheid wissen: "Die Stadt ist bankrott, das Land verrottet, unsere Kinder verblöden, das ist die Gegenwart." (S.179) Tja, da gibt es wirklich keine Fragen mehr. Wir sind in Schröderland, in der Berliner Republik der Jahrtausendwende. Da, wo nach vierzig Jahren Stillstand und Frontstadt plötzlich wieder Goldgräbermentalität herrscht, die den Betuchten zur selben Zeit ein Appartement am Potsdamer Platz und eine schöne alte Villa im wieder zugänglichen Ostteil der Stadt beschert. Endlich scheint zusammenzuwachen, was zusammengehört, der Immobilienbesitz West mit dem Immobilienbesitz Ost, da tauchen plötzlich ungebetene Störenfriede aus der Ukraine auf und setzen eine Ereigniskette in Gang, die so spannend wie abenteuerlich ist und den Leser auf knapp 400 Seiten fesselnd unterhält. "Das Kindermädchen" besitzt in der Tat alles, was man von einem modernen Kriminalroman erwarten kann. Einen spannenden, plausiblen Plot mit historischem Tiefgang, interessante Charaktere mit mehr als einem Schuss Skurrilität, wohl dosierte Action - die mir manchmal fast zu weit geht - und einen ironischen Blick auf das Heute, der für jeden Leser problemlos nachvollziehbar ist. Es ist ein Berlinroman, sauber recherchiert und gut geschrieben, der das Verhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart thematisiert und jene, die sich 50 Jahre nach dem Krieg geschützt glauben durch einen sich langsam über die Geschichte breitenden Mantel des Vergessens, plötzlich doch noch in die verdiente Bredouille bringt. Und letzten Endes thematisiert es auch ein neues Europa, in dem sich öffnende Grenzen dafür sorgen, dass die Täter von einst sich nicht länger abschotten können vor ihren überlebenden Opfern. Die Autorin, im Hauptberuf Fernsehjournalistin, hat die geschichtlichen Hintergründe sorgsam und genau recherchiert. Aus einer Zeitungsmeldung im Berliner Tagesspiegel erfuhr sie vom Schicksal polnischer und ukrainischer Zwangsarbeiterinnen, die, häufig noch minderjährig, in Nazi-Deutschland als Haushaltshilfen und Kindermädchen tätig waren. Nach dem Krieg in ihre Heimat zurückgekehrt, wartet ein Großteil von ihnen bis heute auf eine angemessene Entschädigung. Ihr Schicksal ist der Ausgangspunkt von Herrmanns Geschichte und es ist ein Schicksal, das, gerade weil es so gut wie unbekannt ist und seiner Erforschung durch die Geschichtswissenschaft offensichtlich noch harrt, umso mehr berührt. Eines noch zum Schluss: Schwer getan habe ich mich beim Lesen mit Dingen, die sich offenbar der umstrittenen Rechtschreibreform verdanken. Dass Menschen sich bei Herrmann ständig "schnäuzen", geht mir irgendwie gegen den Strich. Und ich sage lieber, dass etwas "glomm", wenn es nicht mehr glimmt, als dass es "glimmte", auch wenn beides erlaubt ist. Ganz und gar uneinsichtig zeigt sich mein nachreformatorisch waidwundes Sprachempfinden aber, wenn ein höflicher Herr einer Dame sein sauberes Taschentuch anbietet und diese es "voll schnoddert" (S.273). Das ist wirklich voll bescheuert! Dietmar Jacobsen © TourLiteratur
/ Autor Homepage
des Autors Dietmar Jacobsen: Buchcover: © Rotbuch Verlag, Hamburg |