HomeAutorenWerkverzeichnisseSekundärliteratur EpochenBegriffs-Lexikon Theorie Literaturpreise Rezensionen Aufsätze
News-Archiv
Links & Adressen
Rezensionen > Kotte, Henner: Titelhelden

"Heute muss man jedem alles zutrauen"
oder Henner Kottes zweiter Leipzig-Krimi hat Brisanz, aber auch sprachliche M�ngel

Henner Kotte: Titelhelden. Kriminalroman.
Hamburg: Rotbuch / EVA Europ�ische Verlagsanstalt 2006.
ISBN 978-3-434-53154-8
326 Seiten.
EURO 14,90


Es haben Tankstellen schon sch�ner gebrannt. Bei Wolf Haas etwa. In der "Auferstehung der Toten", Seite 100 ff. Da fliegt eine ganze Shell-Tankstelle quasi senkrecht in die Luft. Frage nicht. Und sch�ner ausgesehen haben Tankstellen auch schon. Zum Beispiel in Wolfgang Hilbigs Meistererz�hlung "Die elfte These �ber Feuerbach". Da denkt einer im Taxi �ber die Frage nach, was es heute �ber Utopien anzumerken g�be, und pl�tzlich tauchen aus der Nacht, einander fast gegen�berliegend, zwei Tankstellen von BP auf. Wie "glei�ende Kultst�tte(n)" kommen sie ihm vor, UFO's "in lindgr�nem Lack", ausgestattet mit der "mystische(n) Aureole" einer �berirdischen Vision, sich jeglicher Beschreibung widersetzend. Und w�hrend es den Leser geradezu fr�stelt angesichts der weltentr�ckten Perfektion und kalten Sch�nheit dieser Artefakte, schwant dem Helden Hilbigs bereits das von ihnen symbolisierte Ende jeglichen utopischen H�henflugs.

Mit dem Text des B�chnerpreistr�gers, dessen Ort die Landstra�e zwischen Leipzig und Meuselwitz ist, sind wir �brigens schon in Henner Kottes N�he. Mehr r�umlich als vom Schreibverm�gen her, aber immerhin. Denn obwohl die Tankstelle in Kottes Krimi um die Kommissare Kohlund und Schmitt und die Kommissarinnen Schabowski und Beetz weder sch�n brennt noch sch�n ist, liegt sie doch inmitten der Plei�e-Metropole und hat ihr Gegenst�ck ebenfalls auf der anderen Stra�enseite. Doch beiden Tankstellen geht es nicht gut. Einst an einem Autobahnzubringer gelegen und heftig frequentiert, hat die wilde Baupolitik der Kommune im Zuge von WM-Stadt und Olympia-Bewerbung die Gegend zu einer Art Dead End Street verkommen lassen. Der Verkehr und mit ihm die Gewinne flie�en pl�tzlich woanders. Und eines Morgens ist der Besitzer einer der beiden Servicestationen tot.

"Titelhelden" ist Henner Kottes zweiter Leipzig-Krimi. Wieder ermittelt das Team der Mordkommission zwo und erneut f�hrt uns der Autor schnell mitten hinein in die unterschiedlichsten zwischenmenschlichen Gemengelagen. Es geht um Wendelust und Wendefrust, rechte Gewalt und Ausl�nderfeindlichkeit, V�ter und S�hne, M�tter und Schwiegert�chter und die Frage, wie man leben kann und leben soll in einer auseinander fallenden Gesellschaft, die Probleme �ber Probleme erzeugt, bei deren L�sung aber mehr als zur�ckhaltend ist. Mit einem Satz: Es geht um unsere unmittelbare Gegenwart zwischen Profitmaximierung und Prekariat, Hartz IV und WM 2006, Medienmacht und Merkel-M�ntefering.

Das ist fast zu viel brisanter Stoff f�r knapp 300 Seiten, aber irgendwie schafft es der Autor, die auftretenden Probleme gerecht auf sein Romanpersonal umzulegen, sodass jeder sein Teil abbekommt und auch die ermittelnden Kriminalisten ihr mal leichteres, mal schwereres P�ckchen zu tragen haben. Die Crew ist �brigens gut und zukunftstr�chtig zusammengesetzt, die vier Hauptfiguren unterscheiden sich wohltuend voneinander und arbeiten sich allesamt an privaten Konflikten ab, die mit der L�sung des Falls nicht verschwinden. Ich jedenfalls m�chte im n�chsten Roman von Henner Kotte schon gern erfahren, ob es klappt zwischen der jungen Kriminalistin Franziska Beetz und ihrem aalglatten, aber potenzstarken und immer gut informierten Boulevardzeitungsredakteur und ob die brutale Vergewaltigung seiner Exfrau durch einen der beiden Hauptkommissare wirklich ganz ohne S�hne bleibt.

Jedenfalls gibt es zum Romanschluss hin dann eine nicht mehr ganz so gro�e �berraschung f�r die, welche von Beginn an mitgedacht haben, einen sch�nen, flammenden Showdown und die Gewissheit, dass sich Leipzig nicht schlecht macht als Schauplatz des Verbrechens und das ermittelnde Personal durchaus serientauglich ist.

Allein ein Wermutstropfen tr�bte mir den Spa�: die Sprache. Hier wird zuviel geschludert, ziehen Pr�positionen die falschen F�lle nach sich, fehlen grammatikalisch notwendige Satzteile w�hrend andere gleich zweimal da sind, was sp�testens dann nicht mehr entschuldbar ist, wenn es dem sprachsensiblen Leser aller f�nf Seiten den Genuss verhagelt. Und mit Leuten, welche lesen, weil sie auch auf Sprache, nicht nur auf Handlung Appetit haben, sollte der heutige Krimischriftsteller auf jeden Fall rechnen.

Dietmar Jacobsen

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Homepage des Autors Dietmar Jacobsen:
www.text-und-web.de

Buchcover: © Rotbuch Verlag, Hamburg

[Home] [Wir uber uns/Kontakt/Impressum][Autoren] [Werkverzeichnisse] [Sekundärliteratur] [Epochen] [Begriffs-Lexikon]
[
Theorie] [Literaturpreise] [Rezensionen] [Aufsätze] [News-Archiv] [Links & Adressen]