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Rezensionen > Lelord, François: Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück

Die Crux mit dem Glück
Über Fran�ois Lelords "Hectors Reise oder die Suche nach dem Gl�ck"

Fran�ois Lelord: Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück.
Aus dem Franz�sischen von Ralf Pannowitsch.
München: Piper Verlag 2004
ISBN 3-492-04528-6.
192 Seiten. EURO 16,90


Das Ungef�llige an der postmodernen Kunst und Literatur besteht darin, dass alles schon einmal dagewesen zu sein scheint. Auf Schritt und Tritt begegnen wir in Galerien, Theatern und Buchhandlungen Gegenst�nden und Geschichten, die - sieht man mal von einer freilich nicht immer gelungenen Verfremdung ab - uns aus fr�heren Epochen vertraut sind. Sinn stiftende M�rchen, erbauende Entwicklungsromane, parabolische Reiseberichte - kennen wir alles schon, und ihr belehrender Charakter l�sst uns derlei literarische Erzeugnisse bisweilen mit einem kaum verhohlenen G�hnen beiseite legen. Es sei denn, dem Autor gelingt es, seinen Gegenstand mit solch r�hrender Naivit�t vorzutragen, dass der Leser dem Kindchenschema unterliegt: Die Wahrhaftigkeit und mithin melancholische Poesie, die den Aussagen eines kleinen Prinzen beispielsweise innewohnen, entz�cken - und �berzeugen.

Ach, und dann auch noch die Suche nach dem Gl�ck. Zugegeben, dabei handelt es sich um das universale Thema der Menschheitsgeschichte, das naturgem�� auch in der Literatur unvermeidlich ist. Doch das Explizite dieses Untertitels legt nahe, eine Affinit�t zu jenen Menschen zu argw�hnen, die sich der Gl�cksforschung hingeben und sich dabei in der illustren Gesellschaft sogar von Nobelpreistr�gern wie Bertrand Russell befinden. Weniger illuster sind allerdings selbst ernannte "renommierteste" Gl�ckswissenschaftler (www.gluecksforschung.de) oder die Arbeit aufopferungsvoller Psychologen (www.gluecksarchiv.de), die einmal mehr den unsachlichen und diskriminierenden Verdacht hervorrufen, dass Psychologie studiert, wer noch nicht zu sich und seinem Gl�ck gefunden hat.

Fran�ois Lelord, Jahrgang 1953, ist Psychologe und hatte sich bereits mit Ratgebern zu Personal- und Lebensberatung einen Namen gemacht, bevor er es mit der Erz�hlung von "Hectors Reise" 2002 in die franz�sischen Bestsellerlisten schaffte. Auch hierzulande hat sich der Erfolg schnell eingestellt, und der Grund daf�r liegt auf der Hand: Wenn man dieses Buch gelesen habe, sei man gl�cklich, schw�rt Elke Heidenreich.

Das verlangt nach �berpr�fung, also begeben wir uns mit Hector auf die Reise. Zu dieser kommt es, als der Psychiater Hector feststellen muss, dass einige seiner Klienten einfach nicht gl�cklich sein k�nnen, obschon sie alle Voraussetzungen dazu h�tten. Daher an seinen beruflichen F�higkeiten zweifelnd, beschlie�t er sich fortzubilden, indem er aus der ganzen Welt Ursachen von Gl�ck und Ungl�ck der Menschen zusammentr�gt, um so vielleicht eine "Gl�cksformel" zu entdecken. W�hrend seiner Reise besucht er alte Freunde und ehemalige Lebensgef�hrtinnen, begegnet einem M�nch, einem Gl�ckswissenschaftler und mehreren Banditen, macht die Bekanntschaft von Armen und Kranken, und verlieben tut er sich auch. In jedem Moment stellt er sich und anderen die Frage, was Gl�ck und Ungl�ck ausmache, und notiert ingesamt 23 Lektionen zum Thema Gl�ck, die nicht nur in der Fiktion, sondern offenbar auch dar�ber hinaus Anerkennung finden, da sie im Netz schon allenthalben zitiert werden.

Hectors erste Lektion ist hinsichtlich Inhalt und Formulierung exemplarisch f�r das gesamte Buch: Vergleiche anzustellen ist ein gutes Mittel, sich sein Gl�ck zu vermiesen. Denn es sind die Einfachheit des Offenkundigen und der frische, lakonische Ton, die dieses Buch so bestechend machen. Dabei wird der Leser in die Erz�hlung hineingezogen, da erst er, indem er die vielen Aussparungen f�llt, den kindlichen und sympathischen Charakter des Protagonisten erschlie�t, beispielsweise bei der Episode mit der h�bschen "Studentin in Tourismus", mit der Hector macht, "was die Leute machen, wenn sie verliebt sind, und jeder wei� ja wie das geht." So gelingt es Lelord, eine alte Geschichte - einer sucht das Gl�ck und begreift, dass er es schon l�ngst hat - mit Hilfe einer vermeintlich naiven Perspektive neu zu erz�hlen. Der Appell hingegen bleibt der alte, vom ersten Absatz an sieht man den mahnenden Zeigefinger im Hintergrund, und die zahlreichen Klammern mit direkter Leseransprache k�nnten auch als G�ngelei aufgefasst werden. Wie sagte Mark Twain: Parenthesen in der Literatur und in der Zahnheilkunde sind geschmacklos.

Insgesamt jedoch bereitet Lelords Buch zweifellos gro�es Lesevergn�gen. Eigentlich ist nur eines wirklich bedauerlich: Wenn es in der Zielgruppe dieses Buches, d.h. unter den gebildeten und daher potentiell gut verdienenden Bewohnern der mehr oder weniger entwickelten Industrie- und Wohlfahrtsstaaten, wenn es unter diesen Menschen immer noch welche gibt, die nicht wissen, wie gut es ihnen geht, denen nicht klar ist, dass sie - im Gegensatz zu weniger Privilegierten - das Gl�ck vor der Haust�r haben, dann ist das traurig. Doch diese Menschen werden sich - genauso wenig wie Hectors Klienten durch dessen Beratung - durch Lelords Buch eines Besseren belehren lassen. Ihnen verspricht Frau Heidenreich zu viel. Die anderen sind hoffentlich schon vor "Hectors Reise" gl�cklich.

Friderike Beyer

© TourLiteratur / Autorin
Alle Rechte vorbehalten

© Buchcover: Piper Verlag, München

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