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Rezensionen > Erhard Meueler: Lob des Scheiterns

Lob des Scheiterns
Erhard Meuelers Methoden- und Geschichtenbuch zur Erwachsenenbildung

Erhard Meueler: Lob des Scheiterns. Methoden- und Geschichtenbuch zur Erwachsenenbildung an der Universität.
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2001.
ISBN 3-89676-423-3.
238 Seiten.
EURO 19,00

Scheitern ist ein hoch tabuisiertes Thema, besonders unter HochschullehrerInnen. Zu gro� ist die Angst, von Kollegen wie Studierenden gewogen und f�r leicht befunden zu werden. Es gibt f�r diese Lehrt�tigkeit kein Referendariat als wissenschaftlich begleitete Praxis-Ein�bung. Alle m�ssen als AutodidaktInnen dem mythischen "Anspruch der Wissenschaft" gerecht werden und zugleich mit dem Urdilemma aller P�dagogik zurecht kommen, dass alles Denken, gelingende Verstehen und Lernen Dritter von au�en nicht erzwingbare Subjektleistungen sind. Kein Wunder, dass sie m�glichst sichere Sozialformen bevorzugen: die Vorlesung, auch wenn sie schon mit der Erfindung der Buchdruckerkunst ihre Funktion verlor, oder Seminare nach dem Schema F (Referat als oft missgl�ckte kleine Vorlesungen samt "Diskussion"). Gef�rchtet werden offene Situationen, in denen, so die professorale Phantasie, die durch Uni-Struktur, Rang, Titel, Ver�ffentlichungen und Selbstanspruch abgesicherte Kompetenz binnen Sekunden in eine von allen Beteiligten erlebbare Inkompetenz umschlagen k�nnte.

Wer solche �ngste hat, setzt auf alles, was festen Halt gibt, auf geschlossene Formen der Lehre als gr�ndlich vorbereitete Information, auch wenn Belehrung als Darlegung abgesicherter Wissenschaft f�r das selbstst�ndige Forschen, Suchen, Lernen der Studierenden t�dlich sein kann. Erhard Meueler, Professor f�r Erwachsenenbildung am P�dagogischen Institut der Johannes Gutenberg-Universit�t Mainz, hat aus der Einsicht, dass ohne das interessierte Lernsubjekt nichts l�uft, in �ber 20 Jahren Lehrt�tigkeit unentwegt danach gesucht, wie er f�r die Studierenden Lernm�glichkeiten inszenieren kann, "in denen sich die Beteiligten als Subjekte erleben k�nnen, sozial anerkannt, kompetent und kreativ" (S. 231). An die Stelle hierarchischer Belehrung tritt der Erfahrungsaustausch. Er sieht sich als "sozialen Dramaturgen" (S.4) und setzt auf die Kraft und Begeisterungsf�higkeit der Studierenden, erfindet und erprobt st�ndig neue Formen, theoretisch wie sozial ergiebige Interaktionen in der Gruppe anzuregen, gerichtet auf selbstst�ndige und selbstverantwortliche Aneignung.

Kreatives Experimentieren abseits vom Mainstream ist vielf�ltig vom Scheitern bedroht: "Es kann deutlich werden, dass das Scheitern in bestimmten Situationen f�r die eigene professionelle Entwicklung unverzichtbar ist. Wenn es nicht so l�uft, wie man es sich vorweg am Schreibtisch vorgestellt hat, ist Improvisation angesagt. Es m�ssen Risiken eingegangen werden, die didaktische Erfindungen n�tig machen." (S. 4)

Da Meueler alle didaktische Planung als offenes Projekt ansieht, gibt es f�r ihn ohne phantasiertes oder reales Scheitern "keinen Fortschritt hin zu mehr Subjektentwicklung aller Beteiligten, kein Streben nach Vervollkommnung bisher nur als unzul�nglich erlebter Versuche" (S.1). Wird "Scheitern" von Lehrern wie Studierenden gemeinsam verantwortet, verlieren sich Empfindungen wie die einer Niederlage oder eines Versagens.

Meueler l�sst in seinem Buch nicht nur Studierende zu Wort kommen, sondern beschreibt seine eigene Subjektentwicklung als Hochschullehrer. Lautet der �berkommene Standard wissenschaftlicher Produktion, die eigene Pers�nlichkeit zur G�nze hinter den Forschungsergebnissen zur�ckzustellen, um gr��tm�gliche Objektivit�t zu erzielen, so reiht sich Meueler in die Gegenbewegung der "Ego-histoire" ( "Ich-Geschichte") ein, die es als Genre wissenschaftlich-historischen Schreibens seit Ende der 80er Jahre in Frankreich gibt. Er berichtet, was biografisch seine berufliche Arbeit geformt hat, wobei es immer wieder um die "Auseinandersetzung mit autorit�ren, nicht demokratischen Strukturen" (S.103) geht. Er schildert seine Erfahrungen mit der Wissenschaft und mit sich selbst. Die ausgew�hlten hochschuldidaktischen Str�nge eigener Lehre lauten: "Didaktik", "Aufgaben und Selbstverst�ndnis von ErwachsenenlehrerInnen", "Selbstgesteuertes und selbstbestimmtes Lernen", "Kreatives Schreiben" und "Wissenschaftliche Texte kreativ lesen".

"Didaktik" bestimmt er beispielsweise "als Organisation von Erfahrungen und als Soziallehre, auf demokratische und ihrer W�rde angemessene Art mit Erwachsenen umzugehen" (S. 103). Zu diesen Schwerpunkten stellt er jeweils theoretische Erw�gungen an, schildert autobiografisch die eigenen Zug�nge zum Thema und beschreibt in einer "r�ckblickenden Selbstvergewisserung" (S.5) seine Lehrerfahrungen, indem er der jeweiligen Planung zu den einzelnen Seminarsitzungen den unerwartet anderen Realverlauf gegen�berstellt. Der rote Faden dieser "Professionsbiografie" (I. Sch��ler) ist das entwicklungsf�rdernde Potenzial des im didaktischen Handeln erlebten Scheiterns, das seine kr�ftigen Akzente dort erhielt, wo es ihm nicht gelang, die objektiven Anforderungen der beruflichen Umwelt und das eigene professionelle Selbstverst�ndnis auszubalancieren.

Meueler ist mit seinem Lehrtagebuch zugleich ein am�santes Geschichtenbuch und eine f�r HochschullehrerInnen wie ErwachsenenlehrerInnen anregende Praxisanleitung zur subjektorientierten Erwachsenenbildung ("So k�nnte man es machen", S. 5) gelungen.

Matthias Ruppert

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten
Buchcover: © Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler

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