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Rezensionen > Spark, Muriel: Der letzte Schliff

Die Freuden eifersüchtigen Neids
Muriel Sparks Roman "Der letzte Schliff"

Muriel Spark: Der letzte Schliff. Roman.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Zürich: Diogenes Verlag 2005
ISBN 3-257-06475-6
190 Seiten. EURO 18,90

Wie hat sich ein UNO-Mitarbeiter zu verhalten, wenn er von einer Pythonschlange verfolgt wird? Oder von einem Elefanten? Und wie wird ein Kiebitzei zum Mund gef�hrt, das in feiner oder weniger feiner Gesellschaft als Imbiss gereicht wird? Normale Schulen gehen an diesen - zugegebenerma�en wenig elementaren - Lebensfragen meist stillschweigend vorbei. Das "College Sunrise" hingegen nimmt sich ihrer mit Verve und Leidenschaft an - es ist eine als progressiv und kunstsinnig geltende 'Wanderschule', die im Jahresrhythmus ihren Sitz wechselt und diesmal im malerischen Ouchy am Genfer See Quartier bezogen hat. Geleitet wird das Institut vom jungen Ehepaar Nina Parker und Rowland Mahler, das mit beachtlichem ideellen und eher bescheidenem materiellen Erfolg eine Handvoll Teenager, S�hne und T�chter teils etablierter, teils dubioser englischer Familien in gesellschaftlicher Etikette unterrichtet - der "letzte Schliff" soll ihnen vor dem Eintritt ins Berufsleben verpasst werden. Alle verstehen sich pr�chtig, man wohnt zusammen, lernt und feiert gemeinsam, kommt sich geistig und hin und wieder auch k�rperlich n�her.

Doch das Sommeridyll hat Kratzer und Macken, ganz erhebliche sogar. Rowland, gutm�tig, gebildet und ein bisschen weltfremd, lehrt Kreatives Schreiben und arbeitet selbst an einem Roman. All sein Herzblut steckt in dem ambitionierten Projekt, das sich zusehends zum Dreh- und Angelpunkt, zum einzigen Sinn seines Lebens entwickelt. Doch Rowland qu�len angsterf�llte Zweifel an seinen F�higkeiten, die Arbeit stagniert, er findet keine Worte mehr, daf�r ersch�ttern ihn innere Konfusionen bisher ungekannten Ausma�es - Schreibblockade nennt dies der schriftstellernde Fachmann.

Schuld daran ist der 17-j�hrige Chris Wiley, Rowlands erkl�rter Lieblingssch�ler, rothaarig und rotzfrech, gesegnet mit einem reichen Onkel und der selbstbewussten Blasiertheit der englischen Upperclass. Das Fatale: Auch Chris schreibt an einem Roman, an einem monumentalen Epos �ber das Schicksal der Schottenk�nigin Maria Stuart. Biografische Exaktheit, historische Wahrheit, literarische Seriosit�t - f�r all das interessiert er sich freilich nicht; ihm geht es um Publikumswirksamkeit, um die "gute Story" und - vor allem darum, Rowland auszustechen, ihm die engen Grenzen seiner Schreibkunst aufzuzeigen, kurz: ihn zu dem�tigen.

Tats�chlich muss Rowland leidvoll erkennen: Chris schreibt "wie ein Profi", sein Manuskript ist schlichtweg genial, der k�nstlerische Erfolg, so glaubt er, zwangsl�ufig vorgezeichnet. Kein Wunder, dass in Rowland unheilvoller Groll g�rt, der sich in schicksalhafter Folgerichtigkeit zu Neid, Eifersucht und scheinbar unvers�hnlichem Hass ausw�chst - Hass auf den, der in jugendlich-�berheblicher Unbek�mmertheit die Worte zu Papier bringt, der mit souver�ner Beil�ufigkeit seine schriftstellerische Begabung zur Schau tr�gt, w�hrend er, der Lehrer und Mentor, hilflos vor der un�berwindbaren Wand der eigenen Sprachlosigkeit kauert.

Und dennoch: Rowland braucht die Provokationen seines jugendlichen Konkurrenten, auch wenn sie ihn daran hindern, seinen Roman zu vollenden. Er wei�: Mit seiner neidzerfressenen Eifersucht zerst�rt er sich selbst, aber ohne sie kann er nicht sein. "Ich bin von Chris besessen", bekennt er seiner Frau, "aber ich will meine Besessenheit." Und auch Chris' vermeintliche Genialit�t lebt nur durch Rowlands krankhafte Obsession, sie ist f�r ihn das "Gelbe vom Ei", ohne das er nicht arbeiten kann. So schleichen die beiden unabl�ssig umeinander herum, misstrauisch, stets zu hinterh�ltigen Gemeinheiten bereit - der tragikomische Psycho-Fight zweier M�chtegern-K�nstler, die sich am liebsten gegenseitig umbringen wollen und doch ohne einander nicht existieren k�nnen, nicht existieren wollen. Nur der eifers�chtige Neid auf den anderen bringt Lebenssinn, ist Schub- und Antriebskraft f�r die eigene Produktivit�t - und doch auch giftiger N�hrboden f�r Bosheit, Gewalt, Mordgel�ste.

Das "College Sunrise" als Sinnbild einer aus den Fugen geratenen Welt? Ein Mikrokosmos der verzweifelten Leidenschaften, unerf�llten W�nsche und latenten Versagens�ngste des modernen Menschen? Sicher, so l�sst sich dieser kleine Roman lesen. Doch so d�ster muss das Res�mee nicht ausfallen: Bei allen angedeuteten und tats�chlichen Katastrophen durchzieht ein heiter-melancholischer Ton das Buch, das sich letztlich als literarisches Capriccio von leisem Witz und launiger Unaufdringlichkeit zu erkennen gibt, ein luftig-leichtes Divertimento �ber den indiskreten Charme der britischen Bourgeoisie. Muriel Spark ist ein ebenso originelles wie intelligentes St�ck Literatur gelungen, irgendwo zwischen hintergr�ndiger Farce und skurriler Kriminalgeschichte, zwischen ironischer K�nstlertrag�die und wilder, aufgekratzter Internats-Burleske, voller stilistischer Finessen, verwirrender Wendungen, unangestrengt pointierter Dialoggestaltung und �berraschender Schlussakkorde, die hier nicht verraten werden sollen.

"Ich wei�", hat Muriel Spark, mittlerweile 87 Jahre alt, einmal in einem Interview gesagt, "dass ich ein besonderes Talent besitze, dem Leser Vergn�gen zu bereiten." Bescheiden klingt das nicht. Aber man muss ihr Recht geben, der gro�en alten Dame der englischen Literatur - aus vollem Herzen.

Holger Dauer

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Buchcover: © Diogenes Verlag, Zürich

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