Rezensionen > Zuckmayer-Jahrbuch, Band 6 |
"Zu
einem Böwlche nach Mainz" Zuckmayer-Jahrbuch,
Band 6 Hei�t die Aprikose im Rheinhessischen Marelle oder Maleede? Zugegeben: literaturhistorisch scheint die Frage kaum von Belang. Es sei denn, zwei namhafte Dichter zerbrechen sich dar�ber den Kopf. Carl Zuckmayer und Hans Schiebelhuth lernen sich im Sommer 1919 in Berlin kennen, der "Stadt der Aasgeier" und unendlichen "Verlockungen". Der Dramatiker vom Rhein und der gut ein Jahr �ltere Lyriker und �bersetzer aus Darmstadt - sie m�gen sich auf Anhieb. "Wir kamen aus demselben Fleck Erde, aus derselben Heimat", erkl�rt Zuckmayer sp�ter die herzliche Zuneigung. Und: sie hatten den gleichen unb�ndigen Humor. Das zeigt jener Teil der Korrespondenz, der nun erstmals im neuen "Zuckmayer-Jahrbuch" nachzulesen ist - 45 Briefe des Nackenheimer Dichters an seinen "gro�en Speckrecken" und "lieben Ramschgambel", wie er den Freund liebevoll-sp�ttisch nennt. Man tauscht sich aus �ber die weltpolitische Lage, �ber die eigenen schriftstellerischen Arbeiten, �ber die angenehmste Art, seine sauer verdienten Tantiemen "zu versaufen". Und trifft lebenswichtige Verabredungen: "Du musst Sonntag zu einem B�wlche nach Mainz kommen!" Als Schiebelhuth im Januar 1944 in Long Island bei New York stirbt, ist Zuckmayer untr�stlich. "Er war der weiseste Mensch den ich kannte", schreibt er an Schiebelhuths Witwe. Und: "Wir waren mehr als Br�der, mehr als Blutsbr�der." Weitaus n�chternere T�ne schl�gt Zuckmayer in seiner Korrespondenz mit dem Schriftstellerkollegen Franz Werfel und seiner Frau Alma Mahler-Werfel an. Mehr als siebzig Briefe finden sich im "Jahrbuch". Von Anfang an schwankt Zuckmayer zwischen dichterischer Wertsch�tzung und pers�nlicher Zur�ckhaltung. Respektlos spricht er in einem Brief an seine Jugendliebe Annemarie Seidel von den Werfels als "alte, schadhafte Closettb�rsten". Das �ndert sich im Lauf der Zeit, man trifft sich zum Sektfr�hst�ck, plaudert in Briefen �ber Alltagssorgen und Familienangelegenheiten - und bleibt sich doch merkw�rdig fremd. Im Dezember 1964 stirbt Alma Mahler, sie �berlebt ihren Mann um fast zwanzig Jahre. Zuckmayer soll die Grabrede halten. Doch er lehnt ab. Ihr Tod, bekennt er offen, habe "keine ausgesprochene Trauer hervorgerufen". Der mittlerweile sechste Band des "Zuckmayer-Jahrbuchs" enth�lt neben den eingehend kommentierten Briefwechseln mit Schiebelhuth und Werfel drei wissenschaftliche Beitr�ge sowie die vollst�ndige Dokumentation des Spruchkammerverfahrens gegen den Schauspieler Werner Krauss, dem Kollaboration mit den Nationalsozialisten vorgeworfen wurde. Zuckmayer sagt als Zeuge f�r den ber�hmten B�hnen- und Leinwandheroen aus. 1948 wird das Verfahren eingestellt, Krauss darf nach dreij�hriger Zwangspause wieder auftreten. Das "Zuckmayer-Jahrbuch" erscheint seit 1998 und hat sich - dank der Herausgeber Gunther Nickel, Erwin Rotermund und Hans Wagener - inzwischen zu einem ebenso originellen wie unentbehrlichen Forum der Zuckmayer-Forschung entwickelt. Es verdeutlicht vor allem eins: �ber Zuckmayer ist viel geschrieben worden. Doch es gibt noch viel zu entdecken in Leben und Werk des 1977 verstorbenen Dramatikers. Holger Dauer © TourLiteratur
/ Autor Eine leicht gekürzte Fassung der Rezension erschien unter dem Titel "Mehr als Brüder" zuerst in der "Allgemeinen Zeitung", Mainz (Nr. 62 vom 13. März 2004, S. 50). Buchcover: © Wallstein Verlag, Göttingen |