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Special: Rezensionsprojekt Winnweiler (2005) > Rezensionen > Nazer, Mende: Sklavin

Copyright: Droemer KnaurSklavenhaltung - unvorstellbar, aber wahr
Mende Nazers Autobiographie
"Sklavin"

Mende Nazer (Damien Lewis): Sklavin. Autobiographie.
Aus dem Englischen von Karin Dufner.
München: Droemer Knaur 2004
ISBN 3-426-62541-5
362 Seiten. EURO 8,90

Mende Nazers Autobiografie beschreibt ein erschreckendes Frauenschicksal aus dem 21. Jahrhundert. Ihr wurde die Kindheit genommen, das Leben zerst�rt, die Identit�t geraubt. "Obwohl der Sudan Mitunterzeichner des wichtigsten internationalen Abkommens gegen die Sklaverei ist und diese selbst gesetzlich verbietet, verschlie�t die Regierung vor den Zust�nden im eigenen Land die Augen." Diese Ignoranz kritisiert Mende Nazer in ihrem Buch "Sklavin". Durch ihre drastische Darstellung gelingt es der Autorin die Herzen der Leser zu ber�hren und deren Augen zu �ffnen.

Das afrikanische M�dchen Mende Nazer lebt in den Nuba-Bergen des Sudans und geh�rt zu dem Stamm der Karko. Hier verbringt sie mit ihren Eltern und Geschwistern die zwölf sch�nsten Jahre ihres Lebens. Besonders Mendes Vater spielt eine sehr gro�e Rolle in ihrem Leben. Zu ihm hat sie eine starke Bindung. Doch nicht nur das Verh�ltnis zu ihrem Vater ist au�ergew�hnlich, sondern auch das Zusammenleben innerhalb der restlichen Familie und des Stammes. Dieses Zusammenleben wird vor allem durch Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft gepr�gt. So ist es f�r Mende zum Beispiel unvorstellbar alleine zu essen. Obwohl die Nuba ihre Nahrungsmittel durch Ackerbau, Jagd und Viehzucht hart erarbeiten, hei�en sie jeden zum Speisen willkommen.

Als j�ngstes Kind der 7-k�pfigen Familie genie�t Mende besondere Zuneigung von ihren Eltern. Das junge M�dchen bezeichnet sich selbst als verw�hnt, wei� aber ihre Pflichten in der Familie zu erf�llen. Deswegen ist es f�r sie auch selbstverst�ndlich, t�glich mit ihren Freundinnen Wasser und Brennholz zu holen.

In ihrer Autobiografie gibt Mende eine �u�erst detaillierte Darstellung ihrer Traditionen und Lebensgewohnheiten wieder. Dies gelingt ihr, indem sie pers�nliche Ereignisse, Geschichten und Dialoge aus ihrer Kindheit beschreibt. Sie gibt dem Leser somit die Chance an ihrem Leben und ihren Gef�hlen teilzuhaben. Hierbei entsteht Mitgef�hl und pers�nliche Anteilnahme. Am deutlichsten wird diese Verbundenheit bei der Schilderung ihrer Beschneidung hervorgerufen. Die Darstellung dieses Rituals f�llt sehr hart aus. "Die Frau hatte mich verst�mmelt, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, vorsichtig zu sein und ohne mir ein freundliches Wort zu schenken", berichtet das junge Opfer. Mendes Mutter rechtfertigt diese Tradition mit der Behauptung, dass die Beschneidung den Eintritt in das Erwachsenenalter gew�hre und gut f�r die Gesundheit sei. Doch eigentlich soll dem zuk�nftigen Mann auf diese Weise die Jungfr�ulichkeit garantiert werden. Die damals 11-J�hrige bezweifelt jedoch jeglichen Sinn dieses Rituals.

Ein weiterer wichtiger Lebensabschnitt in Mendes jungem Leben ist die M�glichkeit die Schule zu besuchen. Nur hier kann sie ihrem Traumberuf �rztin ein St�ck n�her kommen. "Mit der Zeit jedoch [kommt] sie dahinter, dass die Schule auch ihre Schattenseiten [hat]." Die arabischen Lehrer verbieten den Nuba ihre eigene Stammessprache zu sprechen und verlangen, dass sie neue arabische Namen annehmen. Wer gegen diese Regel verst��t, hat entsetzliche Strafen zu bef�rchten. Hierdurch wird dem Nubam�dchen erstmals die �berlegenheit der Araber im Sudan bewusst: "Die arabischen Lehrer [haben] nicht die geringste Ahnung von der Kultur und der Tradition der Nuba und sie [tun] so, als w�ren [sie] ihnen unterlegen." Ihre idyllische Kindheit nimmt unerwartet ein Ende, als die 12-j�hrige Mende erstmals den im Sudan herrschenden Krieg zu sp�ren bekommt: Arabische Milizen �berfallen ihr Dorf! H�tten werden in Brand gesetzt, Frauen missbraucht, M�nner grausam niedergestochen, Frauen vergewaltigt. Auch die Kinder bleiben nicht verschont. Sie werden r�cksichtslos von ihren Eltern getrennt, wobei die Araber die �ngstlichen Nubakinder brutal misshandeln und vergewaltigen. Ebenso muss Mende diese grausamen Taten �ber sich ergehen lassen. Doch, "wie [kann] so etwas m�glich sein?". Sie waren doch alle Moslems � Glaubensbr�der!?

1992 wird Mende an eine reiche Araberfamilie nach Kartoum verkauft. Als Abda, was �bersetzt "Sklavin" bedeutet, verbringt sie dort die sieben schrecklichsten Jahre ihres Lebens. Das afrikanische M�dchen, das ihre Kindheit bisher sorglos und in Freiheit verbracht hat, wird nun ihrer Identit�t beraubt. Recht und eigene Gef�hle werden zu Privilegien, denn "die Schwarzen sind f�r Leibeigenschaft geschaffen". Des Weiteren untersagt ihr ihre furchtbare Herrin Rahab ihre Religion auszu�ben. Rahab ist ebenfalls Moslem, verbietet Mende jedoch den Islam, da sie die Nuba f�r unrein und ungl�ubig h�lt. Doch nur die Religion und die Erinnerungen an ihre Familie halten Mende am Leben. Die Wirklichkeit ist f�r sie zu schrecklich: "Die Kinder des Hauses sind zu versorgen, putzen, waschen, b�geln, die Terrasse fegen...." - und das alles ohne Belohnung und Dankbarkeit. Im Gegenteil, grundlos muss Yebit, das M�dchen, das es nicht wert ist, einen eigenen Namen zu tragen, gewaltige Pr�gel �ber sich ergehen lassen. Diese haben sie einmal fast das Leben gekostet: Nach einem Missgeschick Mendes, bei dem Rahabs Vase zu Bruch geht, behauptet diese: "Die Vase war mehr wert, als dein ganzer dreckiger Stamm." Rahabs Aussage verdeutlicht Mendes Stellung in der Gesellschaft. Dabei vergisst Rahab, dass Mende genauso Mensch ist wie sie. "Rahab behandelt [ihre Abda] wie ein Tier- oder sogar noch schlechter. Denn selbst Hunde werden get�tschelt und gestreichelt." Am liebsten w�re sie gestorben, denn Mende sehnt sich nach der gewohnten Zuneigung der weit entfernten Familie. Die �berraschende Nachricht, dass ihre Familie wohlauf ist, verleiht Mende neue Hoffnungen. Doch sind diese Hoffnungen gerechtfertigt? Schlie�lich behauptet ihre Herrin: "Sie ist immer hier. Sie geh�rt mir."

Ungl�cklicherweise nehmen die positiven Aussichten auf ein besseres Leben ein Ende, als Rahab sie nach London schickt. Dort soll das 19-j�hrige Nubam�dchen f�r Hanan, Rahabs Schwester, arbeiten. W�hrend Mendes Reise in die Metropole London werden die Auswirkungen der jahrelangen Knechtschaft auf ihre Psyche deutlich: In be�ngstigenden Situationen "[sehnt sich Mende] nach dem sicheren Gef�hl, dass jemand �ber [sie] verf�gt � und sei es als Sklavin."

Mende soll bei ihrer neuen Herrin Hanan ebenfalls als Sklavin dienen. Dennoch bekommt sie anfangs den Eindruck, wie ein Mensch behandelt zu werden. Doch schon bald erkennt Mende die Wahrheit: Sie schuftet mehr als zuvor und wird erneut Yebit gerufen. Dieser schlechte Umgangston verletzt Mende so sehr, dass sie wieder in Depressionen verf�llt. Die junge Frau entwickelt sogar Selbstmordgedanken. Aber Hanans Versprechungen, ihre Familie in den Nuba-Bergen besuchen zu k�nnen, hindern sie an der Ausf�hrung dieser schrecklichen Tat. Als der sudanesische Diplomat, seine Frau Hanan und die Kinder kurze Zeit sp�ter ohne Mende in den Sudan fliegen, werden Mendes Tr�ume von einem Wiedersehen endg�ltig zerst�rt. W�hrend der Abwesenheit von Hanans Familie findet Mende zum ersten Mal nach dem grausamen �berfall wieder Freude am Leben. Sie wohnt bei Bekannten der Familie. Bei Rabab und Omer muss Mende weder arbeiten, noch Schl�ge erdulden. Sie darf einfach Mensch sein. Aus einem Gespr�ch mit ihrem Gastvater Omer erkennt Mende, dass jeder Mensch Rechte hat � auch sie. Dieses Wissen und ihre neu gewonnene Erfahrung Menschen trauen zu k�nnen, geben ihr die Kraft �ber Flucht nachzudenken. Doch "[sie] wollte nicht fliehen, solange [sie] bei Rabab und Omer wohnte. Sie waren so nett zu ihr gewesen." Was aber, wenn sie dadurch ihre letzte Chance auf ein Leben in Freiheit verpasst...?

Aufgrund mangelnder Englischkenntnisse verfasste Mende Nazer ihre Autobiografie mit dem britischen Journalisten und Sudan-Spezialisten Damien Lewis. Nach siebenmonatiger Arbeit gelingt es den beiden, die schrecklichsten Z�ge Mendes Leibeigenschaft zu ver�ffentlichen. Schon bald befand sich ihr Buch in den Top Ten der Bestsellerliste, was unserer Meinung nach nicht verwunderlich ist. Obwohl die Schreibweise eher schlicht gehalten wird, fehlt es dem Werk nicht an Emotionalit�t. Es ist erschreckend und ergreifend zugleich.

Maria Kr�mer, Laura Kiefer

© TourLiteratur / Autorinnen
Alle Rechte vorbehalten
Buchcover: © Droemer Knaur Verlag, München

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