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Special: Rezensionsprojekt Winnweiler (2008) > Rezensionen > Suter, Martin: Der Teufel von Mailand

Intrige in den Schweizer Alpen
Martin Suters Roman "Der Teufel von Mailand"

Martin Suter: Der Teufel von Mailand. Roman.
Zürich: Diogenes Verlag 2006.
ISBN 978-3-257-23653-8
298 Seiten
EURO 9,95


Die junge Sonia lässt ihr bisheriges Leben in der Hektik der Großstadt zurück und wagt in der Idylle der Schweizer Alpen einen Neubeginn. In einem kleinen Bergdorf sucht sie den inneren Frieden und nach neuen Perspektiven. Doch die augenscheinliche Harmonie täuscht. Mysteriöse Ereignisse zerstören Sonias aufgebaute Ruhe und verdrängte Erinnerungen holen sie wieder ein. Eine erneute Flucht bietet sich an, aber die junge Frau beschließt, den Ursachen ihrer Angst auf den Grund zu gehen.

Martin Suter, der 1948 in Zürich geboren wurde, arbeitete lange als Werbetexter und schrieb satirische Texte. Bekannt wurde er durch die Romane "Die dunkle Seite des Mondes" und "Ein perfekter Freund". Sein fünfter Roman "Der Teufel von Mailand" ist im Jahr 2007 mit dem Friedrich-Glauser- Preis ausgezeichnet worden.

Sonia lebt allein in einer kleinen Wohnung in Zürich. Dort versucht sie ihre Vergangenheit zu vergessen. Einige Jahre zuvor hat sie sich von einem Banker scheiden lassen, der sehr wohlhabend war und nur in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen verkehrte. Doch dieser hat die Trennung niemals akzeptiert und einen Mordanschlag auf seine Exfrau verübt, der allerdings gescheitert ist. Seither sitzt er im Gefängnis und sinnt auf Rache. Die Mutter des Bankers versucht Sonia derweil davon zu überzeugen, die Anzeige zurückzuziehen, damit ihr Sohn das Gefängnis wieder verlassen kann. Allein der Gedanke an eine mögliche Freilassung versetzt Sonia in Angstzustände. Aufgrund ihrer inneren Unruhe beginnt sie, die Droge LSD einzunehmen. Dies hat zur Folge, dass ihre Sinneswahrnehmung gestört ist und sie unter Synästhesie leidet. Daher verliert sie die Realität immer häufiger aus den Augen und sie beginnt an einer Identitätskrise zu leiden. Als Sonia eine freie Stelle als Physiotherapeutin angeboten wird, nimmt sie diese dankend an und zieht in das kleine Bergdorf Val Grisch im Engadin. An ihrem neuen Arbeitsplatz, einem Wellness-Hotel, freundet sie sich schnell mit einem Kollegen und der Chefin des Hauses, Frau Peters, an. Auf ausgedehnten Wandertouren verdrängt sie ihre Angst und die Erinnerungen an den zurückliegenden Lebensabschnitt. Bald jedoch geschehen merkwürdige Dinge im Hotel, die Sonia an Ereignisse erinnern, die in der lokalen Sage "Der Teufel von Mailand" beschrieben werden. Sie beginnt Nachforschungen anzustellen und kommt einer infamen Intrige auf die Spur ...

Die sprachliche Ausarbeitung ist sehr überzeugend. Beschreibungen und Hintergründe werden detailreich und informativ dargestellt. Positiv auffallend sind die Orts- und Menschenkenntnisse des Autors. Die Atmosphäre des Schweizer Bergdorfs wirkt äußerst glaubhaft und realistisch. Geografische Besonderheiten und die charakteristische Architektur des Engadins werden detailliert beschrieben. Diese Stimmung, verbunden mit den persönlichen Geschichten der einzelnen Bewohner, die ebenfalls genau porträtiert werden, sowie die zahlreichen Naturbeobachtungen bilden einen stimmigen Gesamteindruck.

Dennoch sind einige Personen sehr klischeehaft dargestellt. Da ist einerseits der alte Trinker, der im Hotel seine letzte Chance erhält, andererseits die junge Karrierefrau, der alle Mittel recht sind, um ihre Ziele zu erreichen und die Chefposition zu behaupten. Etwas verwirrend bei der Schilderung der individuellen Hintergrundgeschichten sind die wechselnden Perspektiven. Unvermittelt springt der Erzähler auf eine andere Person und der verdutzte Leser muss nun wieder Seiten zurückblättern, um den Namen des Beschriebenen zuordnen zu können. Dennoch ist der Schreibstil oftmals sehr humorvoll und animiert zum Schmunzeln. Die Eigenheiten der Dorfbewohner werden oft auf eine witzige Weise thematisiert und das Dorfbild gewinnt so noch an Lebendigkeit. Gelegentlich entsteht jedoch der Eindruck, dass viele Personen total abgeschottet zur Außenwelt sind und als Einsiedler oder Hinterwäldler im Dorf leben. Vorurteile spielen sicher auch hier eine gewisse Rolle. Weiterhin treten die negativen menschlichen Eigenschaften durch die exakte Schilderung zu Tage. Am Ende erkennt man Hass und Verrat und die daraus resultierende Abneigung, die Sonia den Intriganten entgegenbringt.

Neben guter Menschenkenntnis besitzt der Erzähler außergewöhnliche Kenntnisse über medizinische und juristische Einzelheiten. So beschreibt er die surrealen Empfindungen Sonias und die entstehenden Angstzustände sehr genau. Die besondere Sinneswahrnehmung der unter Synästhesie leidenden Hauptperson spielen im Handlungsverlauf keine unerhebliche Rolle. Auch die Rechtslage im Prozess gegen den Exmann und die strafrechtlichen Folgen werden deutlich herausgestellt und erläutert.

Insgesamt gesehen trägt die Sprache zur Authentizität der Geschichte bei. Überzeugend sind die fachlichen Kenntnisse des Erzählers und die Darstellung der unterschiedlichen Charaktere.

Der Inhalt kann die hohe Qualität der sprachlichen Ausarbeitung nicht erfüllen. Man findet einen absehbaren Handlungsverlauf vor, der ohne große Überraschungen bleibt und zu gradlinig voranschreitet. Oftmals ist durchaus der Eindruck zu gewinnen, dass man ein modernes Märchen und keinen Kriminalroman vor sich hat. Bis kurz vor dem Ende ist es möglich, von einer halbwegs spannenden Geschichte zu reden. Doch das absurde und unpassende Finale entspricht keinerlei Erwartung. Die Schlussszene erinnert sehr stark an den Showdown eines anspruchslosen, amerikanischen Actionfilms. Jeder erstaunte Leser wird sich nun fragen, wie ein renommierter Autor der deutschsprachigen Literatur auf diese Fragwürdigkeiten gekommen ist. Zu den oben angeführten Kritikpunkten ergeben sich weitere inhaltliche Fragen während des Verlaufs des Romans. Warum regnet es wochenlang ununterbrochen im Engadin? Die Szenerie wirkt oftmals trist, obwohl die sprachliche Ausschmückung gelungen ist. Auch der Sinn der abgeduckten SMS-Nachrichten von Sonias Mobiltelefon bleibt eigentlich auf der Strecke. Vielmehr verwirren diese den Leser und nur nach mehrmaligem 'Enträtseln' wird klar, wer der Schreiber der Kurznachricht ist. Ab der Mitte des Buches verliert auch die ungewöhnliche Verschiebung der Sinneswahrnehmung immer mehr an Bedeutung. Deshalb fragt man sich am Ende, welchen Zweck diese Charaktereigenschaft für den Handlungsverlauf hatte.

Der Gesamteindruck des Buches stellt sich als zwiespältig dar. Der unspektakuläre Inhalt steht der durchdachten Sprache und dem subtilen Humor gegenüber. Uns ist es schleierhaft, welches Motiv bestand, dieses Werk mit einem wichtigen Buchpreis wie dem Friedrich-Glauser-Preis auszuzeichnen. Auf dem Markt der deutschsprachigen Kriminalromane sind sicher erheblich spannendere Krimis erhältlich, die durchaus eine Würdigung verdient hätten. "Der Teufel von Mailand" erfüllt durchaus die Grundvoraussetzungen für eine relativ spannende, unterhaltsame und auch lesenswerte Geschichte, doch man darf keine herausragende Literatur erwarten.

 

Maximilian Lieberich, Dominic Seeberger

© TourLiteratur / Autoren
Alle Rechte vorbehalten
Buchcover: © Diogenes Verlag, Zürich

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