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Rezensionen > Irving, John: Garp

Copyright: Rowohlt Verlag, ReinbekEin Pandämonium namens Welt
Wiedergelesen: Anmerkungen zu John Irvings "Garp"-Roman

John Irving: Garp und wie er die Welt sah. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Abel.
Reinbek: Rowohlt Verlag 1992. (= rororo. 5042.)
ISBN 3-499-15042-5
636 Seiten. EURO 9,90


In der Welt, wie Garp sie sieht, "sind wir alle unheilbare F�lle", hei�t es ganz am Ende des Buches. Das klingt wenig optimistisch und ist doch augenzwinkernd gemeint. Davon zeugt die ausufernde, turbulente Handlung, die - gespickt mit absurden Zuf�llen und grotesker Situationskomik - so ziemlich alle bizarren M�glichkeiten und Unm�glichkeiten des menschlichen Daseins abdeckt.

"Garp und wie er die Welt sah", 1978 erschienen, machte den Autor John Irving �ber Nacht weltber�hmt. Es ist die skurril-makabre Geschichte des jungen Garp, der unter h�chst eigenwilligen Umst�nden im Amerika der fr�hen 40er Jahre gezeugt wird, sp�ter zu einem halbwegs erfolgreichen Schriftsteller avanciert und schlie�lich im Alter von 33 Jahren von einer radikalen Feministin get�tet wird. Es ist aber auch und vor allem die Geschichte seiner Mutter Jenny Fields, einer aufopferungsbereiten Krankenschwester, die - ohne es recht zu wollen - zur Leitfigur der Emanzipationsbewegung wird.

'Schuld' daran ist ihre Autobiografie, die den bitter-ironischen Titel "Eine sexuell Verd�chtige" tr�gt. Darin schildert sie mit selbstverst�ndlicher Offenheit ihr bewegtes, selbstbestimmtes Leben, voller Konsequenz und Eigenwilligkeit. Jenny wei�, was sie will, und es stimmt in den seltensten F�llen mit dem �berein, was ihre Umwelt von ihr erwartet. Als junges M�dchen entflieht sie dem verbiesterten Puritanismus ihres wohlhabenden Elternhauses und arbeitet als Krankenschwester. Ihr sehnlichster Wunsch: Ein Kind, ganz f�r sich allein, ohne ehelichen K�fig, fernab aller Bindungskonventionen.

Ganz ohne Mann l�sst sich das freilich nicht bewerkstelligen, und so macht sie sich eines Nachts die pathologisch bedingte Dauererektion eines schwer verletzten Jagdbomber-Sch�tzen zunutze. Der solcherma�en auf den biologischen Zeugungsakt reduzierte Soldat stirbt kurz darauf, ohne dass Jenny Einzelheiten seines Lebens in Erfahrung bringen kann. Ihrem Kind immerhin gibt sie den Namen des Samenspenders: Garp.

Schon Freud wusste: Die Geburt wirkt als seelische Verletzung weiter. Garp bleibt davon nicht verschont. Er hat Erfolg, als Sch�ler, als Sportler, als Schriftsteller, sp�ter auch als Ehemann und Vater. Aber er bleibt ein rastlos Suchender, verfolgt von den eigenen, unerf�llbaren Anspr�chen, die er an das Pand�monium namens Welt stellt, eine Welt voller Gewalt und Sexualit�t, deren Versuchungen er immer wieder unterliegt und an der das eigene Bed�rfnis nach Ruhe und Orientierung zerbricht.

Der Schriftstellerberuf verspricht Hilfe. Doch: W�hrend Jenny in ihrem Schreiben 'nur' Wahrheit sucht, die Wahrheit ihres Lebens, strebt Garp nach mehr, nach Wahrhaftigkeit, nach dem tieferen Sinn des als Chaos und Bedrohung erlebten Lebens. Jenny strukturiert im Schreibakt ihre Biografie, Garp verzettelt sich in seiner, wird zum "Architekten seines eigenen Untergangs" wie es Irving einmal in einem Interview formuliert hat - letztlich ein desolater Manager seines eigenen inneren Krisenszenarios.

Das alles erscheint anr�hrend und absto�end zugleich, unendlich komisch in all seiner Tragik, zutiefst tragisch bei aller aberwitzigen Komik. Und das Buch macht deutlich, was nur wenigen B�chern gelingt: Dichtung - oder weniger pathetisch: Literatur - ist komprimierte Lebenswirklichkeit, gepaart mit Vorstellungskraft und Provokationsbereitschaft. Sie liefert beides: schonungslose Daseinsanalyse und aufr�ttelnde Gegenbilder zur bestehenden Realit�t, stets bereit, auf deren Fundament neue Realit�ten, neue Sinnhorizonte zu produzieren. John Irvings "Garp" ist zweifelsohne eines der spektakul�rsten und gelungensten Beispiele f�r diese 'hehre' Funktionszuweisung an die Kommunikationsform "Literatur". Grund genug, das Buch neu zu entdecken.

Holger Dauer

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Eine veränderte Fassung des Artikels erschien unter dem Titel "Pandämonium Welt" zuerst in der "Allgemeinen Zeitung", Mainz (Nr. 29 vom 4. Februar 2005, S. 17).

Buchcover: © Rowohlt Verlag, Reinbek

Lesen Sie auch Friderike Beyers Rezension zu John Irvings "Die vierte Hand"
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